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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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Druck ausüben, sonst geschieht nichts. Wie lange bleibt Claas überhaupt hier zur Untermiete? Hat er irgendetwas von Erna Kockels gehört? Sie war so plötzlich weg. Heute meinte ich, sie zu sehen. Die Fragen stehen unvermutet da, ungeplant. Ich bin nicht hinterhältig, eher begabt.
    * * *
    Mit Alja muss ich mich über Meret Platen unterhalten. Was weiß Alja?
    Wir sitzen in den bequemen Korbstühlen auf dem Sonnendeck. Alja strickt, rosa Baumwolle, es soll eine Decke werden.
    »Meret Platen läuft und läuft. Laufen zu müssen sei eine Lebensnotwendigkeit für sie. Sie sagt, sie brauche Sauerstoff im Gehirn. Wenn sie hier vorbeiläuft, schaut sie jetzt meistens herein, ob ich hier bin. Ab und zu setzt sie sich, trinkt Tee. Seit Monaten führt sie mit ihrem Schwager und ihrer Schwester einen fruchtlosen Disput um die Art der Schweinehaltung auf dem Gut. Selbstverständlich gehe es sie etwas an, wie die Schweine dort gehalten werden, man gebe nicht die Verantwortung ab, wenn der Besitz sich Aktienpaket nenne. Es gehe nicht um Stimmenanteile, sondern um lebendige Schweine, konkret, fassbar, hier und jetzt. Mattis wisse genau, es gehe letztlich weiter als nur um artgerechte Tierhaltung, Meret verbiete, grundsätzlich und überhaupt, dass Tiere für Versuchszwecke eingesetzt werden. Wenn die Firma meine, diese Tiere zu brauchen und sie deshalb einfach anderswo hole, werde sie auch das verbieten. Es gebe neue technische Möglichkeiten in der Stammzellenforschung. Mattis Platen-Alt muss gewütet haben: Mit derartigen Fehlentscheiden gebe es die Firma in absehbarer Zeit nicht mehr, Meret vernichte Arbeitsplätze, was sie hier verhindern wolle, werde deshalb anderswo unter noch ganz anderen Vorzeichen aufgebaut werden, was sie damit gewinnen wolle? Ein pseudoreines Gewissen? Meret habe von einem Punkt im Hologramm des Ganzen geredet, Bio-Resonanz. ›Die Schweine als Punkt in der Firma, die Firma als Punkt in einem großen Ganzen. Stimme einer der winzigen Punkte in einer Firma nicht, grundsätzlich nicht, so könne man sicher sein, dass in einer ganz anderen Abteilung wie zum Beispiel der Forschungsabteilung, deren Tätigkeit weit in die Zukunft reiche, genau unter denselben Vorzeichen gearbeitet werde.‹«
    Alja schaut in die Weite: »Wenn Meret Platen so spricht, habe ich das Gefühl, mit ihr diese Schwingung zu spüren, die in einer Gegend liegt, in der Tektonik, in den Pflanzen, in den Menschen, im Wind und im Wetter. Die Mühle könnte so ein Ort gewesen sein, an dem ein Spin drehte, schon lange, bevor ich hier war. Die Menschen stehen mit einer Gegend in Resonanz, wie sie auch untereinander in Resonanz stehen.«
    Ich bin frustriert. »Du redest wie Dorothy. Meinst du nicht, wenn man so denkt, dann überschätzt man sich leicht?«
    Alja scheint sich zu verschließen: »Was ich damit bloß sagen will, Meret Platen hat mit mir über das geredet, was ihr lebenswichtig ist. Dass mein Bewusstsein aufnähme, wo das Wichtige ist in ihrem Leben, das, was sie als Menschen ausmacht, das, wozu sie auf die Welt gekommen ist. Sie ihrerseits sieht es als Sinn ihres Lebens, das Lebendige zu erhalten, den Kern, das Leben an sich. Da kann ein Zustand noch so arg und ein Druck auf sie noch so groß sein, sie wird nie nachgeben.
    Das tönt melodramatisch, wir schweigen, Alja strickt wieder, ich schaue über den besonnten Garten hinweg zum Wald, zu den Hügeln. Ansteckend hier oben scheint zumindest das In-die-Weite-Schauen zu sein.
    Als wir uns vor der Haustür stehend verabschieden, bückt Alja sich, scheint etwas aufzuheben, zieht mich zurück ins Haus: »Hast du ihn auch gesehen, oben im Wald?« Sie ist sich sicher, es war eine Bewegung, ein Schatten, die Silhouette eines Menschen, oben am Waldrand.
    »Kann es nicht ein Reh gewesen sein – jetzt im Frühling sind doch die Böcke gerade auch tagsüber unterwegs?«
    Wir stehen am Wohnzimmerfenster, verdeckt vom halb zugezogenen Vorhang, schauen wechselnd durch den Feldstecher, suchen. Ich bin mir nicht sicher, im Schatten des einen Baumstamms könnte jemand stehen. Es gibt doch Sichtgeräte mit Wärmesensoren, mit einem derartigen wären wir von außen durch die Vorhänge zu sehen? Nach Kurzem geben wir es auf. Dann gehen wir gemeinsam durch den Garten zum Wald hoch, doch wir entdecken niemanden. Alja will sich noch in diesem Frühling, spätestens im Sommer, endlich einen guten Wachhund kaufen. Die Sennenhündin drüben im Hof ist trächtig. Sie ähnelt zwar einer Ziege, doch

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