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Todesformel

Todesformel

Titel: Todesformel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Wyss
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dem Kommissar Dornbier.«
    Meine Quiche ist kalt geworden, der Appetit ist mir vergangen.
    Nie rede ich über Mandanten, das ist mein Anwaltsgeheimnis, das die Region mit mir zu teilen scheint. Ich ziehe ein Gesicht und bin sehr froh, diese Geschichte zu kennen.
    Claas hat bisher kein Wort gesagt, so mag er die schönen ›Höhen‹ nicht erwartet haben. Er meint, es sei enttäuschend, genau so habe er sich doch diese reichen Leute vorgestellt, in krumme Geschäfte verwickelt und arrogant, überhaupt nichts Neues.
    * * *
    Wann, bitte, sollte ich mich noch um meinen Körper kümmern – mein Rücken schmerzt. Seit der Schwangerschaft schmerzt er immer wieder. Noël war so schwer. Ich erwache mitten in der Nacht, ringe nach Atem. Der Gedanke an diese böse Lehrerin liegt mir zentnerschwer auf der Brust. Ich muss einen Albtraum gehabt haben, weiß ihn jetzt nicht mehr, weiß nur, Frau Grau wollte Noël verschlingen. Jedes Kind reagiert auf Druck. Ich liege im Bett und rege mich auf. Noël würde jahrelang abgeklärt und therapiert, sein kleines Gehirn würde umprogrammiert. Druck erzeugt Gegendruck, er würde aggressiv, ein kleiner Schläger. Er kriegte auch Medikamente, würde abhängig, als Jugendlicher wäre er extrem drogengefährdet.
    Benno am Telefon reagiert seinerseits alarmiert auf diese ›Vision‹: »Du arbeitest zu viel, bist überlastet. Viele Mütter sind durch die Alleinerziehung überfordert. Ich kann Noël nicht zu mir nehme. Wir hatten das doch geregelt. Ines wünscht eigene Kinder. Ines findet, Noël ist verzogen, verwöhnt, es geht um Kleinigkeiten. Wenn Noël verzogen ist, geht das zuallererst auf Susannes Konto, ich gebe das zu.«
    Jetzt ist es Benno, der drängt. »Es ist doch einfach, wenn wir jetzt ruhig den vorgeschriebenen Weg gehen: Gespräche mit dem Inspektorat, der Schuldirektion, der Elternvereinigung, dem Schulpsychologischen Dienst, der Pädagogin.«
    »Nein, du vergisst die Tests. Dabei würden Wochen vergehen. Wir können nicht dort durchgehen, von Anfang an nicht. Noël kann die Schule wechseln. Es gibt ja diese freie Schule hier am Platz. Sie gefällt mir.«
    Am nächsten Tag rede ich mit Noël. Wir fahren zu dieser Schule, gehen gemeinsam über einen Pausenplatz mit quirligen, lachenden Kindern, durch helle Gänge mit Bildern und Blumen. Ich frage Noël: »Willst du morgen hier beginnen? Es besteht kein Grund, weiterhin in die bisherige Schule zu gehen, denn weißt du was? Diese Frau Grau, ich finde sie eklig.«

8
    AUS ALJAS GARTEN: Besonders im Mai ist auf den täglichen Wetterbericht zu achten. Falls Nachtfrost angesagt ist, sind die dafür empfindlichen Kübelpflanzen an die wärmende Hauswand zu ziehen. Einzelpflanzen lassen sich auch mit Vlies oder mit alten Leintüchern abdecken. Im Mai läuten abends vielerorts die Kirchenglocken zum Frostsegen, Gebet gegen den Reif.
     
    Was für ein Zufall. Heute am Samstag erledige ich meinen monatlichen Einkauf im großen Kaufhaus, Mercerie, Parfümerie, Haushalt. In der Parfümerieabteilung bin ich in die Nuancierungen von ›Fonds-de-Teint‹ vertieft. Ich blicke auf und schaue über drei Gestelle hinweg direkt ins Gesicht von Erna Kockels, die runde Stirn, die Brille, die blauen Augen, der Knopfmund, der Leberfleck, die grauen, gelockten Haare. Ich sehe nur den Kopf, sie ist ja eher klein. Sie sieht mich direkt, sie erkennt mich. Doch jetzt das Unerwartete, sie schaut durch mich durch, dreht den Kopf weg, verschwindet. Rasch gehe ich um die drei Gestelle herum, sie ist weg. Sie hätte doch lächeln können, freudig überrascht. Ich zum Beispiel dachte doch, sieh da, Erna Kockels ist da. Sie ist zurück oder sie ist auf Urlaub hier. Ich hätte sie gefragt, wie es ihr gehe, ob sie bald wieder hier wohne. Wo hat sie wohl so rasch diesen Untermieter gefunden? Ist sie gar nicht im Ausland? Sie kann im Gefängnis sein oder in der Psychiatrie. Hätte sie mich da nicht freudig begrüßt?
    Gegen Abend klingle ich bei Claas, sollte der Klempner in dieser Woche kommen? Wie lange soll denn dieses ›Hansaplast‹ die Rohre noch zusammenhalten?
    Claas guckt, Noël und ich werden zu Spaghetti eingeladen. Claas ist froh, direkt dankbar, wenn eine Spenglerei für eine so kleine Reparatur überhaupt kommt. Ob hingegen der, der kommt, etwas kann, das werden wir dann sehen. Claas wirkt wie jedes Mal auf mich entspannend, gleich schnurre ich wie eine Katze. Ich denke, das ist die gelassene, abgeklärte Haltung eines Schriftstellers. Ich muss etwas

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