Todesfrauen
adäquates Ambiente geschaffen hatte. Sina bewunderte den Heiligen Bavo, der als Falkner im frechen kurzen Rock daherkam und dezent mit einem Preisschild über sage und schreibe 65.000 Mark ausgezeichnet war.
Während Sina angesichts dieser Summe beinahe schockiert war, nickte ihr Gabriele bloß jovial zu und verwies sie auf das eigentliche Highlight der Ausstellung: vier prachtvolle Szenen aus Leben, Sterben und Auferstehen Christi, gemalt um 1490 in der Landshuter Werkstatt des Sigmund Gleismüller. Ein Preisschild fehlte, jedoch deutete Gabriele die unglaubliche Summe von einer halben Million Mark an.
»Wenn wir einige von denen besäßen, könnten wir uns diesen Jugoslawien-Mist sparen«, flüsterte Sina.
»Besitzen wir aber nicht. Leider«, lautete die ebenso lapidare wie wahre Antwort ihrer Freundin.
Als Vladi die abgetretenen Stufen in den Keller hinunterkam, mit schlurfenden Schritten und ungezwungenem Lächeln auf den Lippen, war ihm nicht anzumerken, dass ihn der Wechsel des Treffpunkts eventuell gestört haben könnte. Im Gegenteil! Voller Inbrunst und geradezu dankbar für Gabrieles Vorschlag schilderte er den Frauen, dass er mit seinem Taxi viel zu früh in Bamberg angekommen sei und die Zeit für einen lohnenden Stadtbummel genutzt habe: »Ich konnte mich kaum vom Blick auf den Fluss und die buckligen Häuser an den Ufern losreißen, und das Tor im Alten Brückenrathaus ist echt stark. Dann kam ich noch bei einer Silberschmiede vorbei, wo sie gerade dabei sind, eine Kopie der Krone Kaiser Heinrichs II. zu basteln. Echt cool, diese Fingerfertigkeit.« Vladi sah Gabriele und Sina erwartungsfroh an, als er andeutete: »Dieser Heinrich spielt in der Bamberger Geschichte keine unbedeutende Rolle, wie ich mir habe sagen lassen.«
Gabriele fasste diese Bemerkung als Test auf und ging selbstbewusst darauf ein: »Heinrich II. hat 1007 das Bistum Bamberg gegründet. Ich bin ein Fan der Geschichte, vor allem der fränkischen – aber im Augenblick interessiert mich die Gegenwart mehr: Wie sieht unser Plan aus? Was hast du uns mitgebracht, Vladi?«
Vladi ließ seine Hand in seiner abgetragenen Lederjacke verschwinden und holte einen großformatigen Umschlag hervor. Er schaute sich in dem Gewölbe um und vergewisserte sich, dass sie unter sich waren. Dann öffnete er das Kuvert und zog eine Mappe mit Klarsichthüllen heraus. Sie enthielt Dossiers und Ausschnitte von Landkarten. »Hier drin ist alles enthalten, was ihr wissen müsst.« Er deutete auf die topografische Darstellung einer bosnischen Region in unmittelbarer Grenznähe zum serbischen Kernstaat. »Der Treffpunkt liegt genau hier bei der roten Markierung. Für euren Transfer vom Flughafen in Belgrad ist gesorgt. Bei eurem ersten Kontakt kommt ihr mit diesen beiden Mittelsmännern zusammen.« Nun zog er zwei der Dossiers heraus, die Namen, einige dürftige biografische Daten sowie zwei schlecht kopierte Passbilder enthielten. Gabriele las die Namen Miroslav Bogdanovi ć und Dragan Selimovi ć und erkannte auf den Fotos zwei grimmig blickende Männer, die wenig vertrauenserweckend wirkten.
Vladi, der ihre Skepsis offenbar spürte, ließ seinen Charme sprühen: »Keine Sorge, Mädels, die sind längst nicht so übel, wie sie aussehen. Dragan ist ein Vetter von mir und Miroslav ist die Sanftmut in Person.« Er lächelte schelmisch. »Für den Fall, dass ihr immer noch Bedenken habt, stößt Yelina dazu.« Er unterbreitete ihnen ein weiteres Dossier. Diesmal war eine junge Frau mit langen, rötlich blonden Haaren abgebildet. »Die Schwester eines guten Freundes. Ein aufgewecktes Kind. Sie spricht fließend deutsch und wird für euch übersetzen.«
Gabi betrachtete das Foto der jungen Frau eingehend. Dann sah sie auch die anderen Dossiers noch einmal, diesmal wohlwollender an. Sie kam zu dem Schluss, dass der erste Eindruck womöglich von Vorurteilen geprägt und falsch war. Ja, dachte sie, während sie sich die rudimentären Erläuterungen über ihre Kontaktpersonen durchlas, bei näherer Betrachtung wirkte das Trio gar nicht mal so unsympathisch. Die Männer zwar etwas robust und das Mädchen eine Spur zu kokett, aber ansonsten konnte man nicht wirklich etwas aussetzen. Nicht zu vergessen, dass Vladi ja quasi für sie bürgte.
Auch Sina befasste sich eingehend mit den zweifelhaften Dokumenten, die ihr vor die Nase gehalten wurden, kam jedoch zu einem anderen Schluss: Die abgebildeten Personen waren ihr von Grund auf zuwider: eine falsche Schlange mit
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