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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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modernen Pathologie.«
    Pathologie?
    »Ich habe das Rätsel für mich gelöst – aber Sie kennen den Sinn immer noch nicht.« Er lächelte und steckte ihr den Knebel wieder in den Mund. Tiefer denn je. »Es tut mir leid, aber Sie konnten das Rätsel nicht lösen.«
    Carl griff zur Schere und trennte Helen den zweiten Daumen ab.

42
    In verwaschenem Grau, Stein auf Stein, ragte das Gebäude der Gerichtsmedizin wie ein Monster empor. Das Regenwasser schoss über die Dachrinnen und lief in eigenwilligen Bahnen an den schmalen Fensterkreuzen herab. Bei diesem Gewitter war an der Ecke Spitalgasse und Sensengasse nur wenig Verkehr. Irgendwo musste der Blitz eingeschlagen haben, denn die Beleuchtung auf dieser Straßenseite war ausgefallen. Einige Häuserblocks weiter unten herrschte genereller Stromausfall.
    Unter dem Dach der Gerichtsmedizin prangte ein langer lateinischer Spruch in großen Lettern an der Mauer. Als der Blitz am Himmel zuckte, konnte Sabine zwei Wörter erkennen. STUDIIS ANATOMICIS. Der Rest lag im Dunkel.
    Brandstätter lief zu ihnen und schirmte die Augen mit der Hand vor dem Regen ab. In der anderen hielt er zwei Taschenlampen.
    »Wo beginnen wir?«, rief Kohler, um den Donner zu übertönen.
    »Das Campusgelände der Uni können wir vernachlässigen«, sagte Sneijder. »Bleiben entweder die Gerichtsmedizin oder der Narrenturm.«
    Kohler griff nach Sneijders Arm. »Was sagt Ihr Gefühl?«
    »Erzählen Sie mir mehr über den Narrenturm. Kurz und prägnant.« Sneijder hielt drei Finger hoch.
    »Ich weiß nicht mehr darüber als Sie.«
    »Im siebzehnten Jahrhundert war der Turm die erste Heilanstalt für etwa zweihundert geistig Kranke«, rief Brandstätter. »Heute ist er ein pathologisch-anatomisches Museum für Missbildungen mit kuriosen Ausstellungsstücken. Meine Schwägerin reinigt die Vitrinen. Er steht unter Denkmalschutz und ist im Besitz der Universität Wien.«

    »Er ist im Narrenturm«, flüsterte Sneijder.
    »Wie sicher sind Sie?«, fragte Kohler.
    »Neunzig Prozent. Ein rundes, denkmal geschütztes Gebäude könnte auch ihm Schutz bieten! Denkt er jedenfalls. Der Turm liegt abgelegen und grenzt an kein anderes Gebäude. Noch dazu ist das Museum um diese Uhrzeit geschlossen, und er fühlt sich ungestört.«
    »Falls Sie sich irren …«
    »Sie sollten Verstärkung anfordern«, schlug Sabine vor.
    »Damit die uns hier abholen und aufs Revier bringen?« Kohler griff zum Handy. Statt das BKA Wien über ihren Standort zu informieren, rief er den Wega-Einsatzleiter an.
    Soviel Sabine aus Kohlers Worten entnahm, waren die Männer gerade dabei, ihren Posten vor Carmen Bonis Haus aufzugeben. Nachdem Kohler seinem ehemaligen Kollegen die Lage erklärt hatte, schickte er sie zum Gebäude der Gerichtsmedizin, um es vom Keller bis zum Dachboden nach Helen und Carl Boni zu durchsuchen. Mitten im Satz brach er ab. »Hallo … Hallo?«
    Kohler steckte das Handy weg. »Der Akku hat gerade noch ausgereicht. Die Jungs kümmern sich darum.« Er griff zur Waffe. »Nehmen wir uns den Turm vor.«
     
    Der Narrenturm ragte aus einer Wiese, die durch den Wolkenbruch matschig geworden war. Rundherum lagen die Gebäude der alten Uni. Ein schmaler Weg aus Steinplatten führte zum Eingang. Daneben sammelte sich das Regenwasser in tiefen Rillen. Ein Auto war kürzlich hier langgefahren! Kohler folgte den Reifenspuren mit dem Lichtkegel der Taschenlampe, bis er einen alten Toyota beleuchtete, der neben dem Turm parkte. Hier waren sie richtig. Er rannte zu dem Gebäude. Sabine, Sneijder und Brandstätter folgten ihm.
    Wenn man unmittelbar davor stand, wirkte der Bau wie eine mittelalterliche Burg. Zahlreiche Blitze rissen das Gemäuer aus der Finsternis. Der festungsähnliche Rundbau mit rohen Ziegeln
ohne Verputz war fünfgeschossig mit schlitzartigen Fenstern. Die unterste Fensterreihe war vergittert. Durch einen Torbogen gelangten sie ins Innere des Rundbaus. Der Innenhof war klein. Hier ragte der Turm empor. Was für eine verrückte Konstruktion!
    »Im Rundbau lagen früher das Schwesternwohnheim und die Ärztedienstwohnungen«, erklärte Brandstätter. »Ben und ich sehen uns dort um.« Er reichte Sneijder seine Taschenlampe. »Nehmen Sie sich den Turm vor.« Im nächsten Moment waren die beiden verschwunden.
    Sneijder gab Sabine die Lampe, um selbst die Waffe zu ziehen. »Leuchten Sie mir.«
    Sie liefen durch den Regen zum Eingang des Turms. Der Rundbogen stand auf einem massiven Mauersockel. Oberhalb der

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