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Todesfrist

Todesfrist

Titel: Todesfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Häuserzeilen wirkten wie Waben. Dazwischen lagen Grünflächen.
    Sabine beugte sich ebenfalls vor und entzifferte die Gebäudenamen. »Die Gerichtsmedizin der Medizinischen Universität, der Campus der Uni Wien und … der Narrenturm?« Aus dem Innenhof dieses hohen Rundbaus ragte ein Turm.
    »Der Narrenturm war früher eine Psychiatrie und ist jetzt nur noch ein pathologisches Museum«, erklärte Kohler. »Das ist das Gelände des alten AKH. Um es zu durchsuchen, brauchen wir Tage.« Er drehte sich zu ihnen. »Ihre Kollegen könnten doch auch Helens Handy anpeilen, oder?«
    »Haben sie bereits«, antwortete Sneijder. »Es ist in eine andere Sektorantenne eingeloggt. Vermutlich saß Carl bereits in Helens Wagen, als sie von Harmanns Praxis wegfuhr – und hat ihr Handy auf der Triester Straße aus dem Auto geworfen, wo es jetzt immer noch liegt.«
    »Scheiße.« Kohler tippte auf das Navi und vergrößerte den Bildausschnitt.
    »Wohin fahren wir?«, fragte Brandstätter.
    »Jedenfalls nicht aufs Revier.«
    »Wenn der Chef das rausfindet, platzen seine Halsschlagadern …«

    »Wissen wir!«, riefen Kohler und Sneijder wie aus einem Mund.
    »Okay, nur die Ruhe«, murrte Brandstätter. »Wenn ihr mich schon in diese Sache reinzieht, möchte ich wenigstens erfahren, worum es geht.«
    »Wir arbeiten noch daran«, erwiderte Kohler. In knappen Sätzen erklärte er seinem Partner, was sie bisher wussten. Brandstätters Blick blieb skeptisch. »Ich habe Helen vor drei Jahren schon einmal verloren, als sie sich den Vorwürfen von Staatsanwalt, Gericht und Kripo stellen musste«, fauchte Kohler. »Denselben Fehler begehe ich nicht noch einmal. Bist du dabei oder nicht?«
    »Hör zu, Kumpel.« Brandstätter legte Kohler den Zeigefinger auf die Brust. »Ich hätte Helen damals nicht im Stich gelassen, so wie du. Natürlich bin ich dabei.«
    Für einen Moment herrschte Stille.
    »Carl Bonis Mutter war doch Krankenschwester«, sagte Sabine plötzlich.
    »Und Assistentin in der Gynäkopathologie des Wiener Universitätsinstituts – das ist es!«, rief Kohler.
    »Gut gemacht«, lobte Sneijder. »Er hat Helen in eines der Pathologie-Gebäude des alten AKH gebracht.« Er tippte Brandstätter auf die Schulter. »Los, Mann, worauf warten Sie?«

41
    Helen presste die Augen zu und wollte dem Wahnsinn nicht länger zuhören, doch Carls eindringlicher Singsang drang gewaltsam in ihren Kopf ein.
    »›Dunkel war’s, der Mond schien helle, Eis lag auf der grünen Flur, als ein Wagen blitzesschnelle, langsam um die Ecke fuhr …‹«
    Er zitierte ein Gedicht mit vier Strophen über eine alte Tante im Sarg und einen Jungen mit schlohweißem Haar.
    »Was bedeutet das?«, fragte er schließlich.
    Sie wollte und konnte keine Antwort geben.
    »Was ist der Sinn dieser Worte?«
    »Ist das eines der Rätselspiele, das Ihr Vater mit Ihnen …?«
    »Ist doch völlig egal!«, schrie er. »Was zum Teufel bedeutet das?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie sind völlig nutzlos!« Er verstärkte den Druck der Schere. »Bitte …«, keuchte er plötzlich. »Helfen Sie mir! Was bedeutet das?« Seine Stimme kippte und bekam einen flehenden Ton.
    »Es ist nichts weiter als ein Spottgedicht«, sprudelte es aus Helen heraus. »Kinder sagen es seit Jahrzehnten auf. Ich kenne es aus meiner Jugend. Es ist uralt und stammt vermutlich aus Goethes Zeit.«
    »Und der Sinn?«, kreischte er.
    »Es ist ein Sprachspiel, es hat keinen Sinn!«
    »Das muss es!« Er drückte zu.
    Helen schrie auf. »Es ist ein Paradoxon«, presste sie hervor. »Das Gedicht lebt von offensichtlichen Widersprüchen.«
    »Was ist der Sinn dieser Widersprüche?«
    »Ein Oxymoron hat keinen Sinn.« Mein Gott, was wollte er denn hören? »Es ist eine Formulierung zweier gegensätzlicher, einander widersprechender Begriffe. Wie alter Knabe …«

    »… oder Hassliebe«, ergänzte er langsam. Sein Blick trübte sich. »Rose Harmann sagte, dass meine Mutter mich geliebt haben muss, obwohl sie mich doch abgrundtief hasste …« Er verstummte. Plötzlich starrte er sie mit klaren Augen an. »Ich habe es gelöst. Ich habe meinen Sinn gefunden.« Er strahlte sie überrascht an, dann betrachtete er die Klinge. »›Das Reden verstummt, das Lächeln entflieht, denn das ist der Ort, wo der Tod sich erfreut, beizustehen dem Leben‹«, zitierte er.
    Helen schwieg. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
    »Sie wollten doch wissen, wo Sie sich befinden, Helen. Giovanni Morgagni war der Begründer der

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