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Todeshaus am Deich

Todeshaus am Deich

Titel: Todeshaus am Deich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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tief.
    »Ich glaube, ich kann nachempfinden, was es bedeutet,
ein Kind zu verlieren. Schließlich bin ich nicht nur Polizistin, sondern auch
Mutter. Und wir alle hier auf dieser Dienststelle haben das Gefühl, den kleinen
Lukas mit verloren zu haben.«
    Große Jäger wollte antworten, winkte dann aber ab und
zündete sich eine Zigarette an. Nur weil es still im Raum war, hörten die
anderen das kaum wahrnehmbare »So ‘ne Scheiße«, das fortwährend über seine
Lippen gewispert kam.
    Hilke wandte sich ab und verließ auf leisen Sohlen das
Büro.
    Christoph war nicht wohl in seiner Haut. Er musste
alle seine Energie aufwenden, um sich auf den Bildschirm vor seinen Augen zu
konzentrieren. »Catilina« hatte sich von Hasenteuffel als Pseudonym bei der
Veröffentlichung seiner Kurzgeschichten im Internet zugelegt. Dunkel erinnerte
sich Christoph, dass ihm dieser Begriff schon einmal begegnet war.
    Im Internet rief er eine Suchmaschine auf und gab
»Catilina« ein. Umgehend erhielt er eine Vielzahl von Quellen, die zu diesem
Thema weitere Informationen versprachen. Er wählte eine frei zugängliche
Online-Enzyklopädie aus. Postwendend erschien die Antwort auf seinem
Bildschirm. Dann erinnerte er sich.
    Als Schüler hatten sie sich in Latein mit Ciceros vier
Reden gegen Catilina auseinandersetzen müssen. Henrik Ibsen hatte sogar ein
Drama über den bösartigen Römer verfasst.
    Lucius Sergius Catilina entstammte einem alten
Adelsgeschlecht, war aber verarmt. Beides traf auch auf von Hasenteuffel zu.
Der Römer soll über eine außergewöhnliche körperliche Robustheit und einen
scharfen Verstand verfügt haben. Auch diese Eigenschaften ließen sich auf von
Hasenteuffel übertragen. Catilina litt unter der Armut. Dieses war eine weitere
Parallele.
    Deshalb entwickelte sich der Römer zu einem
hinterhältigen Mörder. Er zeichnete sich durch Grausamkeiten während des
Bürgerkrieges aus, zettelte eine Revolution an und soll auch nicht davor
zurückgeschreckt haben, Mitglieder seiner eigenen Familie zu ermorden.
    War das auf von Hasenteuffel übertragbar? Konnte man
die Bewohner der Seniorenresidenz als »seine Familie« bezeichnen? Mit etwas
Phantasie war das vorstellbar.
    Aber wenn der Baron der Täter war, fehlte noch ein
schlüssiges Motiv.
    Christoph las weiter. Catilina hatte zeitweilig das
Amt des Prätors inne, des höchsten Justizbeamten. Damit war er Herr über Leben
und Tod.
    Ein Schauder durchfuhr Christoph. War es wirklich
vorstellbar, dass jemand aus dem grauenvollen Wirken eines machthungrigen
Römers die Ideen zu Morden in der heutigen Zeit ableitete? Von Hasenteuffel
hatte nie den Eindruck eines geistig kranken oder verwirrten Menschen erweckt.
Wo war das Motiv? Und wer hatte Trude Beckerling in Saskia Willichs Wohnung
gebracht? Der Baron hatte ein Alibi. Hatte der Mann einen Komplizen?
    Eine letzte Bemerkung in der Enzyklopädie ließ
Christoph stutzig werden. Catilina hatte sich mehrfach vergeblich um den Posten
eines Konsuls bemüht. Die letzte Anerkennung war ihm versagt geblieben.
    Auch von Hasenteuffel war von den Menschen in seiner
Umgebung verkannt worden, als »Rammler« verspottet, von der Familie ausgestoßen
und nach Nordfriesland abgeschoben worden. Waren das ausreichende Beweggründe,
um Menschen zu ermorden? Konnten die bisher ungeklärten Zwischenfälle in der
Seniorenresidenz als »stiller Aufstand« gedeutet werden?
    Bevor Christoph seinen Verdacht mit seinen Kollegen
diskutieren wollte, musste er sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen
lassen. Um sich abzulenken, griff er in den Pappkarton mit den Unterlagen aus
von Hasenteuffels Schränken. Er sichtete die Papiere und blätterte in
Versicherungspolicen, Beitragsrechnungen, Arztquittungen und Nachweisen über
die Pensionszahlungen an den ehemaligen Oberst.
    Als Christoph den ehemaligen Dienstgrad des Barons
sah, fiel ihm ein, dass Friedrich Kubelka gespottet hatte, von Hasenteuffel sei
nie ein richtiger Soldat gewesen und habe nie einen anderen Gegner als die
Bürokratie gesehen. Sein Krieg sei der Papierkrieg gewesen. Wollte der Baron es
am Ende seines Lebens allen noch einmal zeigen, dass er nicht zum »alten Eisen«
gehörte? Beim Deichspaziergang mit Christoph hatte er sich darüber beklagt,
dass man den Senioren nichts mehr zutrauen würde.
    Christoph blätterte in den sorgfältig abgehefteten
Kontoauszügen. Dann stutzte er. Sein Finger wanderte auf dem Auszug auf und ab.
Zur Kontrolle verglich er diesen Auszug mit dem

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