Todeshaus am Deich
sondern
auch hundertprozentig hinter seinen Mitarbeitern stand. Wegen seiner hinter der
rauen Schale verborgenen Menschlichkeit würde er nur schwer zu ersetzen sein,
wenn er im kommenden Jahr in Pension gehen würde.
Christoph stand auf und verließ mit einem angedeuteten
Kopfnicken das Büro, in dem der Polizeidirektor fest verwurzelt schien. In all
den Jahren hatte Christoph Grothe noch nie außerhalb des Chefzimmers gesehen.
Nachdenklich kehrte er in sein eigenes Büro zurück. Er
hatte sich kaum an seinem Arbeitsplatz niedergesetzt, als sich die Tür öffnete
und eine rotblonde Frau mit wuscheligen Haaren, die immer wie ungekämmt
aussahen, eintrat.
»Hallo«, sagte Kommissarin Hilke Hauck und zog ihre
Stupsnase dabei ein wenig in die Höhe, sodass sich über der Nasenwurzel eine
Falte bildete. Mit den zahlreichen Sommersprossen im runden Gesicht machte sie
einen fröhlichen Eindruck. »Ich habe dich gesucht und würde mit dir gern noch
einmal den Fall des jugendlichen Randalierers besprechen, der bei seinem Zug
durch die Friedrichstraße im Stadtteil Rödemis eine Reihe von Fahrzeugspiegeln
abgebrochen hat.«
Christoph sah seine Kollegin, die vor einem Jahr nach
Husum versetzt worden war, mit einem abwesenden Blick an.
»Ja«, sagte er. »Aber das kann warten. Wir haben ein
dringenderes Problem.« Er berichtete von seinem Gespräch mit Polizeidirektor
Grothe.
Betroffenheit machte sich in Hilkes Gesicht breit.
»Ich verstehe«, sagte sie und wandte sich zur Tür.
»Ich werde versuchen, die Adresse zu ermitteln, und dort vorbeifahren.«
Im Türrahmen stieß sie mit Große Jäger zusammen.
»Hey, was sind das für Annährungsversuche? Wirfst du
dich jetzt schon deinem Lieblingskollegen an die Brust?«, knurrte der
Oberkommissar.
»Du stehst auf meiner Liste ganz unten«, konterte
Hilke und lächelte Harm Mommsen an, der hinter Große Jäger stand. Dann
verschwand sie durch die Lücke, die Große Jäger durch einen Schritt rückwärts
geschaffen hatte, auf den Flur.
»Was ist mit unserer Zicke los?«, fragte der
Oberkommissar Christoph. »Die Deern sieht man selten so dynamisch.«
»Dann müsstet ihr beide miteinander verwandt sein«,
entgegnete Christoph. »Nicht umsonst nennst du sie Tante Hilke.«
»Nicht wahr, Onkel Remmidemmi?«, mischte sich Mommsen
ein und spielte auf den ungeliebten Spitznamen für Große Jäger an, den Hilke
Hauck aus dessen zweitem Vornamen Remigius abgeleitet hatte.
Große Jäger ließ sich ächzend auf seinen
Schreibtischstuhl fallen, zog die unterste Schublade hervor und parkte seine
Füße darinnen. Mit spitzen Fingern kramte er eine zerknautschte
Zigarettenpackung aus der Jeans, suchte durch das Aufschlagen der flachen Hand
auf die unsortierten Papierberge auf seinem Schreibtisch nach dem Feuerzeug und
zündete sich geräuschvoll eine Zigarette an. Alle Versuche, ihm das Rauchen am
Arbeitsplatz freundschaftlich abzugewöhnen, waren bisher gescheitert.
Der Oberkommissar berichtete vom Besuch in der
Seniorenresidenz und schloss seine Ausführungen mit der Feststellung: »Nun
solltest du mit dem Staatsanwalt sprechen und die Obduktion beantragen.«
»Seid ihr euch sicher, dass es sich um eine unklare
Todesursache handelt?«, gab Christoph zu bedenken. »Der Mann war nach Auskunft
der behandelnden Ärztin schwer krank und außerdem hochbetagt.«
»Und deshalb schenken wir dem Fall keine Beachtung?
Die Kosten einer Obduktion für einen alten Knaben, der ohnehin keine
Angehörigen mehr hat, wollen wir uns sparen. Großartig«, ereiferte sich Große
Jäger und griff zu seinem mit Kaffeeflecken reich verzierten Becher, sah hinein
und schlürfte laut und vernehmlich am leeren Trinkgefäß.
Mommsen stand auf.
»Okay. Ich setze neuen Kaffee auf.« Der junge
Kommissar ging zur Fensterbank, nahm die Kanne von der Kaffeemaschine und verließ
den Raum, um Wasser zu holen.
»Das siehst du falsch, Wilderich«, versuchte Christoph
seinen Kollegen zu beruhigen. »In der Tat drängt die Staatsanwaltschaft ein
wenig drauf, wirklich nur bei begründetem Zweifel weitere kostenintensive
Untersuchungen einzuleiten. Haben wir denn zusätzliche Anhaltspunkte oder nur
den vagen Verdacht der Ärztin und dein Bauchgefühl?«
Große Jäger griente und fuhr sich mit beiden Händen
über seinen Leib. »Mein Feinkostgewölbe« nannte er seinen Schmerbauch, was
schmeichelhaft war, denn jeder in der Dienststelle kannte seine ausgemachte
Vorliebe für Fastfood.
»Es ist natürlich der bequemere
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