Mörderische Triebe
I
»Lara, es ist Zeit.«
Ich nickte und stand langsam auf. Innerlich schlotternd, nach außen jedoch so ruhig wie eben möglich ging ich von der Pritsche zur Zellentür.
Dort streckte ich meine Hände aus, sodass mir die Wärterin Handschellen und Fußfesseln anlegen konnte.
Beides wurde durch eine Kette verbunden, um mir jede Möglichkeit zur Flucht zu nehmen.
Noch einmal blickte ich mich um. Die Zelle, in der ich die letzten sechs Tage meines Lebens verbracht hatte, erschien mir plötzlich wie ein sicherer Hafen.
Was nun kam, war die ritualisierte Tötung eines Menschen auf Geheiß des Staates.
Ein Priester erschien, in der Hand die Bibel. Er schenkte mir einen mitleidigen Blick und segnete mich.
Zum Glück sagte er kein Wort, denn das hätte mir gerade noch gefehlt!
»Sei stark!«, wisperte die Wärterin, nachdem sie mir die Fesseln angelegt hatte. Sie blieb neben mir und eskortierte mich hinaus auf den Flur.
Dort warteten bereits vier männliche Wachen. Zwei würden vorausgehen, zwei den Schluss bilden.
Vorbei an den Zellen der anderen Todeskandidaten, den Gang hinunter zu einer grün lackierten Tür.
Unwillkürlich ging ich langsam. Nicht so wie sonst. Jeder Schritt brachte mich meinem Ende näher, jedes Zögern schenkte mir ein paar Sekunden Lebenszeit.
Niemand drängte mich, niemand sagte etwas. Auch nicht der Priester.
Die grüne Tür kam näher, noch näher – dann standen wir vor ihr und sie öffnete sich automatisch.
Dahinter befand sich der Vorbereitungsraum. Die Pritsche, ein Schrank mit den Utensilien sowie – verschlossen in einem Tresor – das Gift, welches mich töten sollte.
Die Wärterin löste die Fesseln, ich legte mich auf die Pritsche und schaute zu, wie man mich festschnallte.
Besonders große Riemen benötigte man dafür nicht. Ich war mit 1,71 zwar nicht klein, von der Figur her aber drahtig und sportlich. Meine Brüste waren zu klein, der Hintern ebenfalls und die Lippen dünn. Als Model wäre ich ein Reinfall gewesen.
Einzig meine Haare, vor allem wenn ich sie lang und locker trug, hatten die Männer angesprochen.
Hier waren sie leider zu einem Kurzhaarschnitt frisiert worden, da dies hygienischer sei.
Mein Herz schlug bis zum Hals. Mir war, als müsste man das Pochen in dem gesamten verdammten Raum hören.
»Vor dem Gefängnis stehen ein paar Leute und singen für dich. Sie haben Kerzen entzündet und fordern, dass wir die Exekution nicht durchführen«, erklärte die Wärterin, während sie das Kopfteil der Pritsche etwas nach oben zog, sodass ich bequemer lag.
»Ich schließe mich der Forderung an!«, brachte ich leise hervor. Mein Mund war trocken, meine Kehle rau.
»Kann ich verstehen.«Die Wärterin schenkte mir ein kurzes Lächeln. Von ihrem Alter her hatte sie bestimmt schon mehrere Frauen auf ihrem letzten Weg begleitet. Die gleichen Rituale, dieselben Worte.
»Bereue deine Taten im Angesicht des Unvermeidlichen«, wisperte der Priester. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Das Reich Gottes steht den Bußfertigen offen.«
»Ich habe viel zu bereuen, Vater«, gab ich zurück. »Ich habe in Kriegen und für den Staat getötet. Die mir zur Last gelegten Verbrechen aber kann ich nicht bereuen, denn die habe ich nicht begangen.«
Er blickte mir in die Augen, dann wich er etwas zurück. »Ich … glaube dir!«, sagte er. »Du machst nicht den Eindruck, als würdest du lügen!«
Einer der Wärter klopfte auf meinen Arm, um eine Vene zu finden. Dann schob er eine recht dicke Nadel unter die Haut. Ich sah Blut in einen angeschlossenen Schlauch fließen. Kurz darauf wurde eine Kochsalzinfusion angehängt, damit die Vene nicht verstopfte.
Ein zweiter Schlauch führte zu jener Maschine, in der die drei tödlichen Wirkstoffe darauf warteten, in meinen Körper gepumpt zu werden.
Die Wärterin öffnete mein Shirt, klebte EKG-Sonden auf meine Brust und schloss sie an einen Monitor an.
Deutlich waren meine Herzschläge zu sehen.
Mein Puls raste. Ich spürte, wie meine Blase drückte; es kostete mich Überwindung, nicht einzunässen.
Es war das eine, in einen Krieg zu ziehen und an vorderster Front zu kämpfen; den Tod vor Augen.
Es war etwas anderes, auf eine Pritsche geschnallt auf den Tod zu warten. Unschuldig verurteilt von einem Gericht, das sich auf keine Argumente einließ.
Noch immer hatte ich nicht begriffen, wie genau es zu diesen Verwechslungen hatte kommen können. Warum jemand ernsthaft glauben konnte, ich hätte ein Blutbad angerichtet
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