Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
ungefähr zur selben Zeit gekommen, hatte ihr freundlich zugelächelt und sie gefragt, ob sie alleine sei und mit ihm spielen wolle. »Es ist so langweilig, den ganzen Platz alleine abzuklappern«, sagte er scherzhaft. Sie nickte, obwohl sie anderer Meinung war, denn sie konnte sich kaum etwas Schöneres vorstellen, als alleine zu spielen – niemand, der einen störte, nur die frische Morgenluft und sie, ganz alleine auf der Welt. Aber sie willigte ein, denn er sah verdammt gut aus.
Er erzählte, er sei selbständiger IT -Spezialist, war um einiges älter als sie. Was keine Rolle spielte, denn sie verstanden sich gut. Und war Ari nicht einfach zu jung für sie gewesen? Womöglich fühlte sie sich zu älteren Männern hingezogen, wenn ihr Haar diesen seriösen grauen Anstrich bekam …
Er hatte vorgeschlagen, sich in ein paar Tagen wiederzutreffen und noch einmal neun Löcher zu spielen. Ihr erstes richtiges Date fand dann an einem Donnerstagabend in einem kleinen Café statt. Kristín kam pünktlich, doch er war schon vor ihr da, saß an einem kleinen Tisch in der Ecke und hatte zwei Stücke Apfelkuchen mit Sahne und heißen Kakao bestellt. Der perfekte Mann?
Kristín erzählte ihm, sie sei noch nicht ganz über eine Trennung nach einer langen Beziehung hinweg. Er meinte, das ginge ihm ähnlich, und erzählte Kristín später, er habe seine Frau verloren.
In der darauffolgenden Woche trafen sie sich mittags wieder und aßen in einem Restaurant in der Innenstadt Fisch. Dieses Date ging allerdings ziemlich in die Hose, denn sie konnten sich bei dem lauten Gläserklirren und Besteckgeklapper der Mittagsgäste kaum unterhalten. Daraufhin wollte er sie unbedingt zum Abendessen einladen, leider lagen ihre Schichten in jener Woche schlecht, doch nun hatte sie eine bessere Woche vor sich.
Kristín stieg in den Wagen, ein altes japanisches Auto, das sie günstig beim ortsansässigen Autohandel erstanden hatte – der Luxusjeep musste warten, bis sich ihre Ausbildung richtig bezahlt machte. Sie dachte an den vor ihr liegenden Tag, ein schöner Sommertag, aber ein ganz normaler Tag im Krankenhaus. Langweilig. Auf der Arbeit waren alle Tage ziemlich langweilig. Hatte sie ihre ganze Energie in ein Studium investiert, das vielleicht gar nicht zu ihr passte? Sie versuchte an etwas anderes zu denken – das würde sich mit der Zeit schon geben. Die ersten Jahre waren immer die schwersten. Wobei ihr ein Arzt einmal gesagt hatte, sein Beruf sei für ihn eine Berufung und keine Arbeit, jeder Tag sei wie ein kleines Wunder. Kristín merkte nichts davon und freute sich überhaupt nicht auf die Arbeit. Vielleicht war Ari vernünftiger gewesen als sie – immerhin hatte er mit der Theologie aufgehört, als er gemerkt hatte, dass das Studium nichts für ihn war, und sich etwas völlig anderem zugewandt. Sie musste schmunzeln, wunderte sich über sich selbst, und dachte dann, dass das bei ihr natürlich ganz anders war. Es lag einfach nur an der Müdigkeit, den langen Schichten – mehr nicht.
Da fiel ihr auf, dass sie doch wieder an Ari gedacht hatte.
Sie bekam ihn einfach nicht aus dem Kopf.
6 . Kapitel
Reykjavík,
ein Jahr vor dem Leichenfund
Ich war todmüde von dem anstrengenden Tag. Wieder frisch in der Nachrichtenredaktion, ins kalte Wasser geworfen, nachdem ich den Job als Psychologin drangegeben hatte. Früher, als ich noch jünger war, war alles leichter gewesen. Jetzt war ich fast dreißig; das Alter, in dem alles möglich schien, war bald vorbei. Zeit, erwachsen zu werden.
Ich hatte am Laptop gesessen, die Minuten verstreichen lassen, versucht, den Kopf leer zu bekommen. Legte mich dann auf das blaue Sofa im Wohnzimmer und schloss die Augen. Das Sofa war vom Trödelmarkt, hübsch, aber nicht besonders bequem. Ich legte mich trotzdem darauf, hatte einfach keine Kraft, mich nach dem langen Arbeitstag ins Schlafzimmer zu schleppen.
Ich musste mich erst an den neuen Rhythmus gewöhnen, war in letzter Zeit so schlapp, zu hoher Blutdruck, Kratzen im Hals, viel zu viel Stress. In der Redaktion gab es keinen ruhigen Tag. Die Nachrichten kamen pünktlich jeden Abend, und niemand konnte eine ruhige Kugel schieben – die Meldungen mussten immer zur richtigen Zeit fertig sein. Für den Druck und das Arbeitstempo war der Job furchtbar schlecht bezahlt. Im Krankenhaus hatte es auch mal Leerlauf gegeben, halbe und ganze Tage, an denen niemand etwas von mir wollte – Tage, an denen man durchatmen konnte. Diese Vorstellung
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