Zero Unit
1
Manhattan
April, morgens, Gegenwart
Sie wurde als Köder benutzt.
Dr. Gina Cappozi spürte genau, wie sie ihr folgten. Den ganzen Tag über hatte sie die Blicke im Rücken gespürt, es verursachte ihr eine Gänsehaut … ganz offensichtlich taten die STORM -Corps-Spezialeinsatzkräfte die ganze Zeit über das, was sie am besten konnten: Sie wachten im Schatten von Hauseingängen und dunklen Gassen aus über sie und beobachteten die belebten Straßen Manhattans auf mögliche Gefahrenquellen hin. Immer für Gina da. Stets auf der Hut. Geduldig darauf wartend, dass ihr gemeinsamer Feind sich zeigen würde. Zumindest kam es ihr so vor.
Gina wäre es lieber, sie würden einfach verschwinden und sie verdammt noch mal in Ruhe lassen.
Eigentlich hätte ihre ständige Gegenwart sie beruhigen sollen. Ihr das tröstliche Gefühl vermitteln müssen, beschützt zu werden. Aber so war es nicht. Zwar hatten sie ihr bereits einmal mit heldenhaftem Einsatz das Leben gerettet und waren auch jetzt auf ihre Sicherheit bedacht – dennoch verfolgten diese Spezialeinsatzkräfte einen ganz eigenen Plan: Sie wollten ihn in die Finger bekommen, ihren unsichtbaren Feind, und das um jeden Preis.
Und Gina diente ihnen dabei als Judasziege.
Tja, Pech für sie. Diese Kerle würden sich hinten anstellen müssen, wenn sie diesen Scheißkerl erwischen wollten. Denn Gina war als Erste dran.
Sie wollte ihn − ihre Nemesis. Hauptmann Gregg van Halen.
Gina stieg an der Lexington Avenue in den schwarzen Schlund des U-Bahnhofs hinab und schaute sich dabei immer wieder um. Doch keines der Gesichter im Gedränge dieses stumpfsinnigen Stroms von Pendlern, der sie mit sich zog, kam ihr bekannt vor. Würde sie ihre Aufpasser heute abschütteln können?
Oder waren sie inzwischen gar zu der Erkenntnis gelangt, dass sie unter Verfolgungswahn litt und ihr Verfolger nur eine Ausgeburt ihrer posttraumatisch überreizten Fantasie war? Waren sie längst weg und hatten Gina sich selbst überlassen?
Dann war es vielleicht van Halen, den sie im Nacken spürte.
Schön. Sollte der Bastard nur kommen.
Er sollte ruhig versuchen, ihr etwas anzutun . Gina war vorbereitet. Ihr Körper war wiederhergestellt. Und ihre Seele … nun, die ebenfalls, zumindest so gut es ging. Vorläufig.
Selbstverständlich war sie bewaffnet. Ohne ihr Lieblingsmesser ging sie nie vor die Tür. Zum Teufel, selbst in ihrem Zuhause aus dunklem Sandstein legte sie es niemals ab. Denn sie war nirgends sicher. Jedenfalls nicht, solange van Halen noch am Leben war.
Fest schlossen sich ihre Finger um den Schaft des tödlichen KABAR -Messers in ihrer Manteltasche. O ja. Sie hatte sich vorbereitet, und wie! Immer wieder hatte Gina sich auf die Strohattrappe gestürzt und zugestochen, bis sich kleine Häufchen auf dem Boden bildeten und die Kleidung der Puppe in Fetzen an ihr herabhing. Jeden Tag, wochenlang. Zum Leidwesen ihres Selbstverteidigungstrainers hatte sie in dieser Zeit bestimmt hundert Dummys verschlissen.
Inzwischen fühlte sie sich sicher, hatte keine Angst mehr davor, sich dem Mann zu stellen, der sie während der letzten sechs Monate in ihren Albträumen verfolgt hatte. Dem Mann, der sie kaltblütig an Terroristen ausgeliefert hatte und dann verschwunden war, ohne einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden.
Denn was konnte er ihr schon antun, das sie nicht bereits durchlitten hatte? Nichts. Er konnte sie nicht mehr verletzen. Nicht noch einmal. Weder ihren Körper noch ihr Herz. Er würde sie nicht wieder einfach so überrumpeln. Dazu würde er keine Gelegenheit bekommen.
Niemand würde das. Niemals wieder.
Denn Gina Cappozi hatte ihr Leben wieder in die Hand genommen.
Und Gregg van Halen würde seines verlieren.
So viel stand fest. Dieselbe Hand, die ihn liebkost und seine Leidenschaft entfacht hatte, würde seinem jämmerlichen Dasein ein für alle Mal ein Ende setzen.
Und mit sehr viel Glück war es noch heute so weit.
Verdammte Scheiße, nicht schon wieder.
STORM -Agent Alex bekam keine Luft mehr. Er versuchte mit aller Kraft, das bedrohliche Wüstenszenario zu unterdrücken, das sich um ihn schloss und ihn in eine Zwangsjacke panischen Entsetzens schnürte. Verzweifelt versuchte er, die gellenden Phantomschreie auszublenden.
Zu spät. Aus diesem Albtraum führte kein Weg mehr hinaus.
Er hielt sein Gewehr im Arm und presste den Rücken fest gegen den Felshang direkt über dem afghanischen Dorf, an dem er schon seit Stunden hockte und auf das Signal zum
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