Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
wie ihm kalter Schweiß ausbrach. Kristín war womöglich in großer Gefahr, sogar in Lebensgefahr.
»Was zum Teufel machst du da?«, rief Tómas, der sonst immer so gelassen war.
»Ich muss hier aussteigen. Ich erkläre es dir später.«
»Bist du verrückt geworden? Wir sind im Einsatz, verdammt nochmal«, sagte Tómas ungehalten.
»Ich muss weg!«, schrie Ari, der sich seinem Vorgesetzten gegenüber noch nie so aufgeführt hatte. Er riss die Tür auf und rannte los. Er hatte Tómas noch nie so wütend gesehen, doch in diesem Moment war ihm das herzlich egal.
23 . Kapitel
Gegen Abend klarte es in Siglufjörður endlich auf. Den ganzen Tag über hatte die Sonne nicht geschienen, und obwohl die Wolken nun fort waren, würde die kleine Ortschaft am Meer keine Abendsonne abbekommen, denn dafür waren die Berge zu hoch.
Jónatan saß auf einem kleinen Hocker im Garten und genoss den Sommerabend.
Der junge Polizist, dieser Ari, hatte ihn angerufen und gefragt, auf welchem Hof im Skagafjörður seine Eltern gewohnt hätten. Der Anruf war kurz gewesen, Ari hatte es eilig gehabt. Jónatan hatte die Frage gewissenhaft beantwortet, dann gefragt, warum die Polizei das wissen wolle, doch da hatte Ari schon wieder aufgelegt.
Diese Nachfrage musste mit den Ermittlungen an dem Mord an Elías zu tun haben, aber wie zum Teufel konnte das sein? Hatte die Polizei Wind davon bekommen, was damals auf dem Hof passiert war? Vielleicht kam nun alles ans Licht, die Gewalt gegen die Jungen, gegen Jónatan, Elías und die meisten anderen, die das Pech hatten, den Sommer über auf den Hof von Jónatans Eltern geschickt worden zu sein.
Jónatan konnte sich die Hintergründe, die zu diesen schrecklichen Zuständen geführt hatten, nicht erklären. Woher kam dieser Sadismus, dieser Drang, andere zu quälen? Er selbst hatte dieses Bedürfnis nie verspürt. Hoffentlich vererbte sich solche Boshaftigkeit nicht.
Vielleicht war es ja an der Zeit, die ganze Geschichte zu erzählen.
Elías war zwar tot, aber vielleicht war es möglich, anderen, die unter dem Aufenthalt auf dem Hof gelitten hatten, zu helfen. Und womöglich ließ sich Elías’ Tod auf irgendeine Weise auf diese dunklen Gespenster der Vergangenheit zurückführen.
Das würde jedoch zweifellos den Ruf der Familie schädigen, und seine Geschwister wären ihm alles andere als dankbar dafür. Er würde selbst als Opfer angesehen, als Sohn eines Ungeheuers, bekäme Mitleid und Aufmerksamkeit. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Er wollte keine Aufmerksamkeit.
Wollte nur seine Ruhe haben, aber manchmal musste man sich einfach richtig verhalten, egal, welche Folgen es hatte.
Er stand auf und schleppte sich ins Wohnzimmer, sein Gehstock war nicht in erreichbarer Nähe, setzte sich ans Telefon und wählte die Nummer, von der aus Ari ihn angerufen hatte. Der Polizist ging ran, keuchend und atemlos, sagte, er hätte keine Zeit, mit ihm zu reden, und gab ihm die Nummer seines Vorgesetzten. Jónatan rief ihn an.
»Tómas«, sagte eine ziemlich barsche Stimme. Die Hintergrundgeräusche ließen darauf schließen, dass er sich im Auto befand, wahrscheinlich im Polizeiwagen auf dem Weg zu Jónatans Elternhaus im Skagafjörður.
»Hallo Tómas«, sagte Jónatan zögernd. »Ich heiße Jónatan. Ari hat mich wegen des Bauernhofs im Skagafjörður angerufen.«
»Ich habe es eilig«, sagte Tómas, bevor Jónatan die Chance hatte, zum Thema zu kommen.
Jetzt oder nie. Endlich hatte er die Kraft gesammelt, die Wahrheit zu sagen.
»Dürfte ich ganz kurz mit Ihnen sprechen? Es ist wichtig«, sagte er und versuchte, klar und entschlossen zu klingen.
»Na gut.« Tómas’ Stimme gab zu erkennen, dass er alles andere als begeistert von dieser Störung war.
»Warum wollte die Polizei wissen, wo unser Hof ist?«, fragte Jónatan zögernd.
Tómas schwieg einen Moment, so dass Jónatan nur das Motorengeräusch des Wagens hörte.
»Wir suchen jemanden … eine Frau«, antwortete er brüsk. »Wir glauben, dass sie auf dem Hof sein könnte, weil Elías sich in der Gegend auskannte.«
Ein unbehagliches Gefühl befiel Jónatan. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, und er spürte sein Herz schneller schlagen. Hatte Elías etwa irgendeine arme Frau umgebracht und ihre Leiche auf dem Hof versteckt? Das konnte er sich durchaus vorstellen, und er kannte sogar das beste Versteck.
»Das würde mich nicht wundern«, rutschte es Jónatan heraus.
»Was meinen Sie?«, fragte Tómas immer noch
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