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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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Wohnwagen ohne Klo gehaust und sich von staatlichen Lebensmittelzuteilungen ernährt hatte.
    Als er nach dem Krieg zum ersten Mal mit dem Chief hierhergekommen war, hatten etwa zwei Dutzend Männer ihn an ein Lagerfeuer gezerrt, das roch, als würden Kuhfladen darin verbrannt. Sie hatten ihm mit einem stumpfen Messer am Unterarm herumgesäbelt und ihm erklärt, das sei ein Ritual zu seinen Ehren, weil er einem der Ihren das Leben gerettet habe.
    «Bin ich jetzt euer Blutsbruder?», hatte er gefragt, weil er das mal in einem Comic gelesen hatte.
    Die Indianer kugelten sich vor Lachen. «Quatsch, das glaubt ihr Weißen nur immer von uns. Du bist einfach ein blöder Texaner, der sich von uns den Arm anritzen lässt, ohne sich zu wehren.»
    Dann gaben sie ihm abscheulichen Whiskey aus einem Einmachglas zu trinken und verpassten ihm einen Indianernamen, den er kaum aussprechen konnte. Erst Jahre später fand er heraus, dass der Name übersetzt in etwa «hundefickender Cowboy» bedeutete, aber zu dem Zeitpunkt kränkte ihn das längst nicht mehr.
    Seit damals war er jedes Jahr wiedergekommen, hatte zugesehen, wie das Reservat sich veränderte, und sich daran gefreut. Er war zum Teil seiner Geschichte geworden, die, wie er wusste, von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Das gab ihm ein wohliges Gefühl von Zugehörigkeit zu diesem Ort, an den er eigentlich gar nicht gehörte. Im Rest des Landes hingegen wurde er misstrauisch gemustert, und man zwang ihn, seine Galauniform ganz weit hinten in seinem geräumigen Kleiderschrank zu verstecken wie die Wunde eines Aussätzigen.
    Nach einer Weile lichteten sich die Bäume, und Claude erspähte die harzgebräunten Holzstämme der Jagdhütte, den kiesbedeckten Parkplatz sowie den Geländewagen, den er gemietet hatte und auf dessen Anhänger zehn nagelneue Kanus mit der Aufschrift « JUGENDCAMP ELBOW LAKE » gestapelt lagen.
    Der Chief blieb stehen, als er die Kanus sah, und seine Miene wurde starr. Sobald ihn etwas richtig berührte, musste er immer den Gleichgültigen spielen, der alte Spinner, als ob Gefühle Feinde wären. «Was zum Teufel soll das denn, Kumpel?»
    «Ich war doch letztes Jahr bei eurer Camp-Eröffnung. Hat mir schier das Herz zerrissen, den armen kleinen Indianerkindern dabei zuzusehen, wie sie versuchten, mit den verrotteten Krücken zu paddeln, die ihr Kanuflotte schimpft. Als Indianer braucht man doch ein gescheites Kanu.»
    «Alles nur Großstadtindianer», erläuterte der Chief. «Was anderes sehen wir hier selten im Camp. Viele von denen können ein Kanu nicht von einer Giraffe unterscheiden.»
    «Na, wie auch immer, jetzt könnt ihr ihnen jedenfalls das Paddeln richtig beibringen.»
    Nach langem Schweigen nickte der Chief. «
Migwich
, mein Bruder. Danke.»
    Claude wandte sich ab und ließ den Blick über die sattgrünen Fichten wandern, die die Jagdhütte umstanden. «Da kommt ein Wagen.»
    «Wird wohl unser Kleiner sein.»
    Erwartungsvoll sahen sie dem Fahrzeug entgegen, bis es schließlich neben Claudes Mietauto und den geschenkten Kanus auf dem Kies stehen blieb.
    «Ach du Scheiße», flüsterte Claude beim Anblick des Skeletts, das ausstieg. Joe war annähernd zwanzig Jahre jünger als sie, doch er sah aus wie ein Greis. Die Krankheit hatte ihn böse zugerichtet. «Mann, sieht der schlimm aus.»
    «Richtig schlimm.»
    «Das hab ich gehört», rief Joe Hardy im Näherkommen. Er ging sehr langsam, und der Chief litt allein beim Zusehen unter jedem qualvollen Schritt. «Ihr Indianer und Texaner habt wohl allesamt keine Manieren gelernt. Jetzt sagt mir gefälligst mal was Nettes.»
    Der Chief brachte ein Lachen zustande. «G. I. Joe, du alte Nulpe, sieh zu, dass du deinen Hintern aus der Sonne kriegst, bevor die Geier dich wittern und dir noch das letzte bisschen Fleisch von den Knochen picken!»
    «Schon besser.» Grinsend blieb Joe stehen, und der Chief kam ihm ein Stück entgegen, packte ihn bei den knochigen Schultern und tastete nach Substanz. «Ach du dickes Ei, Kleiner, die haben ja gar nichts mehr an dir drangelassen. Ich hab dir doch gleich gesagt, die Medizin des Weißen Mannes ist schlimmer als die Krankheit selber. Du brauchst eine ordentliche Indianer-Kur.»
    «Und wie sieht die aus?»
    «Alkohol und Essen, in der Reihenfolge.»
    «Hört sich gut an.» Joe sah zu Claude hinüber, der sich noch im Hintergrund hielt. Für ihn war das alles schwieriger. Die drei hatten sich kennengelernt, als Joe damals Grover, Claudes einzigen Sohn,

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