Todesnähe
das nicht ein Raubüberfall gewesen sein, oder waren es irgendwelche Geister aus seiner Vergangenheit? Grace hat erzählt, er war eine Zeitlang im Knast.»
Magozzi rieb sich die Stirn. «Glaube ich nicht. Die Täter haben nämlich auch Johns Boot auf den Kopf gestellt. Alle Schubladen ausgekippt, alle Schranktüren eingeschlagen. Offenbar haben sie etwas gesucht und sich nicht darum geschert, wer das mitbekommt. Key West hat sämtliche Krankenhäuser und Kliniken im ganzen Bundesstaat kontrolliert, aber ohne Erfolg. Jetzt stehen sie ziemlich auf dem Schlauch. Die Mörder könnten ja auch mit dem Boot gekommen und auf demselben Weg wieder verschwunden sein.»
Gino hörte dem Gespräch aufmerksam zu, massierte sich dabei die Oberlippe und dachte an den kümmerlichen Schnurrbart zurück, den er sich vor etwa hundert Jahren, als Männer noch weite Hawaiihemden über der Jeans trugen, einmal hatte stehen lassen.
Am anderen Ende der Leitung seufzte Harley tief auf. «Das gefällt mir gar nicht, Magozzi. Es ist nämlich noch jemand auf der Jagd nach John. Vielleicht sind es sogar etliche Jemande.»
Magozzi schloss kurz die Augen und runzelte dann die Stirn. «Wie meinst du das: etliche Jemande?»
«Schreib dir mal diese Websites auf und schau sie dir an. Wir haben gerade rausgekriegt, dass eine Fatwa gegen John verhängt wurde. Das Internet ist voll davon.»
Gino blieb der Mund offen stehen, und er machte ihn die ganze Zeit nicht wieder zu, während Magozzi die URL s aufschrieb, die Harley ihm diktierte.
«Unsere Maschinen laufen auf Hochtouren», fuhr Harley fort. «Wir versuchen herauszufinden, wie zum Geier John da in die Schusslinie geraten ist. Aber das wird noch ein Weilchen dauern, und ich weiß auch gar nicht, ob es uns weiterhilft, wenn wir den Grund kennen. Ihr wisst ja, wie das läuft. Irgendein radikaler Imam setzt das Todesurteil ins Netz, und anschließend versucht so ziemlich jeder durchgeknallte Möchtegern-Killer, sich einen Namen zu machen, indem er es vollstreckt.»
«Könnt ihr die Seiten lahmlegen?»
«Roadrunner sitzt schon dran.»
«Wir können das noch gar nicht fassen, Harley. Eine Fatwa gegen John? Wie zum Teufel geht man denn mit so was um? Wir sind immer noch an den Behörden dran, zu denen Grace uns Kontakt verschafft hat, aber dabei ist bisher nichts weiter herausgekommen als der Mord an Kardon.»
«Passt doch», brummte Harley. «Nur logisch, dass sie zuerst am Hafen suchen. Jetzt können wir bloß hoffen, dass sie nicht noch weiter suchen.»
Magozzi spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. «Was meinst du denn damit?»
«Ach, ich weiß auch nicht. Wie ernst muss man so eine Fatwa denn nehmen? Wird man dann erbarmungslos von lauter Amateuren gejagt, oder nehmen sie sich immer nur das Zielobjekt vor, das sich gerade halbwegs bei ihnen in der Nähe befindet? Damals, als die Mafia ihre große Zeit hatte, haben sie zum Beispiel nachgeforscht bis zum Gehtnichtmehr und nie aufgegeben, wenn sie jemanden beseitigen wollten. Wenn nötig, haben sie ganze Biographien zerpflückt, jeden ausfindig gemacht, der die Zielperson kannte, und ihm Stecknadeln in die Augen gebohrt, bis er geredet hat.»
«Hübsche Vorstellung, Harley.»
«Na ja, ich wollte halt mal ein bisschen den Teufel an die Wand malen.»
«Sagt Bescheid, wenn wir noch was tun können.»
«Danke, Kumpel, aber das meiste ist jetzt Computerarbeit. Außerdem habt ihr schon genug gemacht, indem ihr die Behörden für uns durchtelefoniert habt, vor allem, wo ihr selbst so viel um die Ohren habt. Euch sieht man im Moment ja ständig in den Nachrichten. Passt auf euch auf, Jungs. Anscheinend haben wir gerade Mordsaison.»
Magozzi hätte nicht sagen können, wie lange er und Gino nebeneinander vor seinem Rechner saßen, Website um Website anklickten und jedes Mal fassungslos auf John Smiths Foto starrten. Schließlich schob Gino kopfschüttelnd seinen Stuhl zurück. «Das muss ein Scherz sein. Ein richtig schlechter Scherz. Ich meine, verdammte Hacke! Wie kriegt man es denn fertig, dass jemand eine Fatwa über einen verhängt? Hat er Mohammed-Karikaturen gezeichnet oder was?»
Magozzi dehnte vorsichtig seine Nackenmuskulatur. Er fühlte sich, als wäre er in eine von Salvador Dalis Phantasielandschaften geraten. «Anscheinend hat John doch mehr gemacht, als nur radikalislamistische Websites zu überwachen. Wir können nur hoffen, dass das Monkeewrench-Team schnell herausfindet, was genau.»
Gino legte die Stirn in
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