Todesnähe
Ballistik, oder?»
«Haben sie zumindest versprochen.»
«Fein. Dann können wir den Fall ja abschließen, unseren Bericht schreiben und eine Bootstour machen.»
«Du magst doch gar keine Boote.»
«Stimmt, aber ich mag Freigetränke, und ich glaube, davon brauche ich heute ein paar, um den Geschmack dieser Woche wieder aus dem Mund zu kriegen.»
Verglichen mit dem gestrigen Volksauflauf war die City Hall heute geradezu menschenleer. Die Medien-Geier waren allesamt zur nächsten Tragödie weitergeflogen. Und wo sich die Kameras befanden, da waren auch die protzsüchtigen Politiker nicht weit. Es war zwar angenehm, es wieder ein bisschen ruhiger zu haben, aber gleichzeitig auch etwas unheimlich: Man kam sich vor wie der letzte Überlebende einer grassierenden Seuche.
Unglücklicherweise saß auch die Aushilfs-Rezeptionistin wieder hinter ihrer Glasscheibe und bewachte das Morddezernat wie ein Dobermann. Sie bedachte Magozzi mit einem kurzen Lächeln und richtete ihren Blick dann streng auf Gino. «Kann ich mal bitte Ihren Ausweis sehen?»
Gino verzog das Gesicht. «Soll das vielleicht witzig sein?»
«Sie haben’s erfasst.» Sie ließ sie durch.
McLaren war dabei, seinen Schreibtisch aufzuräumen – ein ausgesprochen verstörender Anblick, weil etwas Derartiges noch nie vorgekommen war. Heute hatte er ein bisschen Farbe im Gesicht, was nur bedeuten konnte, dass er sich entweder mal richtig ausgeschlafen hatte oder auf Sauftour gewesen war. Angesichts der übersehenen rötlichen Bartstoppeln, die er auf McLarens linker Wange entdeckte, tippte Gino auf Letzteres.
McLaren hielt den Papierkorb an den Schreibtischrand und beförderte einen Stapel nutzloser Unterlagen hinein. «Bisher hat heute noch keiner irgendwen umgebracht. Chief Malcherson meint, bis was Neues reinkommt, soll ich euch helfen. Habt ihr was für mich?»
Magozzi legte seine Fallakten auf McLarens frisch entrümpelten Schreibtisch. «Hier. Wir haben keinerlei Hinweise darauf, wer die beiden Entführer umgebracht hat, in deren Haus die Mädchen versteckt waren. Vielleicht findest du in den Berichten ja etwas, was wir übersehen haben.»
«Was ist mit den drei Toten aus dem Sprengstoffhaus?»
«Den Fall können wir vermutlich abschließen, wenn der Bericht aus der Ballistik kommt. Die haben versprochen, sich heute zu melden.» Magozzi setzte sich an seinen Schreibtisch. Gino saß bereits an seinem und misshandelte einen Snickers-Riegel. Er drehte ihn hin und her, knackte die Schokoladenglasur, drückte die Karamellfüllung heraus. Gewalt gegen Lebensmittel ließ bei ihm immer auf tiefe innere Unruhe schließen. «Du beschädigst einen Schokoriegel», bemerkte Magozzi. «Das passt gar nicht zu dir.»
«Ja, ich weiß. Ich habe heute früh den großen Fehler gemacht, Zeitung zu lesen. Da war ein Riesenartikel über Joe Hardy drin, der hat mich echt fertiggemacht. Da zieht dieser Junge drei Mal für sein Land in den Krieg, kommt mit mehr Medaillen zurück, als man zählen kann, kämpft ein Jahr lang gegen den Krebs und wird dann in seiner eigenen Heimatstadt von zwei Terroristen kaltblütig abgeknallt. Das ist doch einfach nicht fair.»
Magozzi wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Glücklicherweise klingelte im selben Moment sein Bürotelefon und bewahrte ihn vor weiteren deprimierenden Gesprächen darüber, warum gute Männer sterben mussten. «Detective Magozzi», meldete er sich.
«Hallo, Magozzi, hier ist Dave aus der Ballistik.»
Magozzi schaltete das Gespräch auf Lautsprecher. «Schieß los, Dave. Gino und McLaren hören mit.»
«Hallo, McLaren. Hey, Gino, wie lief denn der Garagenflohmarkt letztes Wochenende noch?»
Gino war sichtlich froh über die Ablenkung. «Kann nicht klagen. Was macht denn der Sitzsack, den ich dir als Fitnessgerät aufgeschwatzt habe?»
Dave lachte. «Die bestinvestierten fünfzig Cent meines Lebens. Gibt keinen gemütlicheren Sessel bei uns. Meine Frau hat ihn zwar gleich in den Hobbykeller verbannt, aber das soll mir recht sein. Da steht nämlich auch mein Flachbildfernseher.»
Magozzi zog eine Augenbraue hoch. Er hätte Dave nicht für einen Schnäppchenjäger gehalten. «Hast du was Neues im Fall Hardy für uns?»
Aus dem Lautsprecher war ein erstaunlich missmutiger Seufzer zu hören. «Wahrscheinlich mehr, als euch lieb ist.»
Verwirrt musterte Gino das Telefon. «Was gibt’s denn?»
«Tja, ich hab da einen ganzen Sack voll Seltsamkeiten für euch. Aber erst mal die gute Nachricht: Euer Fall
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