Todesqual
ich es ihr ausgeredet. Ich habe es von einer ihrer Freundinnen.«
»Und was hat dir diese Freundin erzählt?«
»Molly dachte, dass Holt es mit ihr machen würde, wenn er nach Hause kommt und sie in seinem Bett vorfindet. Sie lebte in einer Traumwelt und dachte die ganze Zeit nur an ihn.«
»Woher kannte sie seine Adresse?«
»Keine Ahnung. Meine Mom ist in der Immobilienbranche. Ich habe in den Nachrichten gehört, Holt sei gerade erst eingezogen.«
Seine Stimme erstarb. Und Lena hatte nun ihren Beweis. Holt hatte das Opfer gar nicht gekannt. Sie stellte sich vor, wie sich die Szene abgespielt haben musste. Der Einbruch in das Haus war so ungeschickt gewesen, weil ein siebzehnjähriges Mädchen und nicht der Mörder dahintersteckte. Lena konnte buchstäblich sehen, wie McKenna sich auszog, sich in Holts Bett legte und wartete, bis er nach Hause kam. Es sollte die schönste Nacht ihres Lebens werden, so unrealistisch es auch klingen mochte. Die Nacht, in der sie ihre Jungfräulichkeit verlor. Als anstelle von Holt der Mörder ins Schlafzimmer kam, war sie vermutlich vor Angst erstarrt. Dass es laut Art Madina schnell gegangen sein musste, war das Einzige, was Lena erleichterte. Nur einige Sekunden in Todespanik, bis der Täter ihr den Schädel zerschmetterte und alles schwarz wurde.
Der Junge räusperte sich. »Darf ich Sie was fragen?«
Lena kehrte in die Gegenwart zurück und sah ihn an.
»Was ist, wenn Sie auch fünf Jahre brauchen, um rauszukriegen, wer meine Schwester umgebracht hat? Oder sogar noch länger?«
Lena setzte sich aufs Bett. »Du musst mir etwas über diesen Polizisten erzählen, John. Den, der dir verboten hat, mit mir zu reden.«
Er wich ihrem Blick aus, und seine Hände begannen wieder zu zittern.
»Ich weiß nicht, wie er heißt.«
»Was hat er denn genau gesagt?«
Der Junge holte tief Luft, verfiel diesmal aber nicht in Schweigen. »Würde Ihnen das helfen, Mollys Mörder zu finden?«
»Natürlich würde es das.«
Er überlegte. »Er hat gesagt, wenn ich mit Ihnen rede, könnte ich enden wie Molly.«
»Er hat dir also gedroht.«
Der Junge nickte. »Außerdem sagte er, es würden auch noch viele andere Leute sterben, und das alles wäre dann meine Schuld.«
»Wie sah er denn aus?«
»Er hatte keine Uniform an, wenn Sie das meinen.«
Lena beugte sich vor. Sie konnte ihn kaum verstehen. »Woher wusstest du dann, dass er Polizist war?«
»Er hat mir seine Dienstmarke gezeigt. Und die Pistole unter seiner Jacke.«
»Aber als du dir die Marke angeschaut hast, konntest du den Namen nicht lesen?«
»Er hat den Daumen drübergehalten. Er hatte eine Lederjacke an. Und eine Narbe. Am Ohr. Sie sah aus wie ein X.«
Lena spürte, dass Zorn wie glühend heiße Lava in ihr aufstieg. Dazu mischte sich eine überwältigende Trauer. Sie war nicht sicher, ob sie es schaffen würde, aufzustehen und einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie hatte sich wirklich Mühe gegeben, sich Rhodes’ Verhalten vernünftig zu erklären und nicht vorschnell über ihn zu urteilen. Inzwischen jedoch war aus Zweifeln Gewissheit geworden. Rhodes hatte auf die
dunkle Seite gewechselt. Er war der Maulwurf. Der Mann, den sie suchten.
53
A ls Lena um die Ecke bog und das Großraumbüro betrat, schlug ihr eine Mauer aus Schweigen entgegen, das so dicht war, dass es ihr in ihren Ohren gellte. Keiner der zehn oder zwölf Detectives im Raum blickte auf, doch sie wusste, dass ihre Ankunft keinem von ihnen entgangen war.
Nur ein einziges Augenpaar war auf sie gerichtet. Novak saß an seinem Schreibtisch und sah sie mitfühlend und besorgt an. Auf dem Weg den Mittelgang entlang warf sie einen Blick auf Rhodes. Allerdings nur einen kurzen, um den Abstand zwischen ihnen nicht in Metern, sondern in Kilometern zu berechnen.
Im nächsten Moment hörte sie lautes Gebrüll.
»Gamble! Sofort! Hierher!«
Es war Lieutenant Barrera.
Lena ließ den Aktenkoffer auf ihren Schreibtisch fallen und schaute noch einmal zu Rhodes hinüber, bevor sie sich an Novak wandte.
»Kein Wort zu ihm«, flüsterte sie. »Wir müssen reden.«
»Ich warte, Gamble«, rief Barrera.
Als Lena das Büro das Captain betrat, hörte sie, wie hinter ihr die Glastür zugeknallt wurde.
»Setzten Sie sich, Detective.«
Barrera lief, offenbar zu aufgebracht, um ihrem Beispiel zu folgen, vor dem Konferenztisch auf und ab. Sein Gesicht war inzwischen nicht mehr gerötet, sondern eher violett, so sehr schien er inzwischen in Rage zu sein. Als er sich
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