Todesritual: Thriller (German Edition)
wieder. Noch nie hatten mehr Menschen der Amtseinführung eines Präsidenten beigewohnt.
Max betrachtete die stillen und geduldigen Massen auf einem der beiden Plasmabildschirme im Empfangsbereich des Büros von Sal Donoso. Er war früh dran für den Termin mit dem Anwalt, der ihm übergeben wollte, was ihm Eldon in seinem Testament hinterlassen hatte.
Die Empfangsdame beachtete ihn nicht. Sie starrte gebannt auf denselben Bildschirm wie er. Max konnte nicht umhin, sie genauso zu lesen, wie er weiterhin alle Menschen las, in deren Gegenwart er sich befand, und sei es noch so kurz. Ihre besten Jahre hatte sie hinter sich, sie war zu alt, um in einem Job zu arbeiten, der eigentlich was für Berufsanfänger war. Brille, kurzes, bläulich getöntes Haar, braunes Kostüm und zu viel Make-up. Ihr Gesicht trug die unverkennbaren Zeichen eines zu heftig gelebten, über die Maßen ausgekosteten Lebens. Sie schaute voller Bewunderung in den Fernseher, die Finger verschränkt. Sie trug keine Ringe. Er vermutete, dass sie oft einsam war.
Nachdem die Polizei ihn am Strand aufgegriffen hatte, hatte er eine Woche in einem Lager in der Nähe von Hialeah verbracht. Dort teilte er sich einen Schlafsaal mit einer Bootsladung Haitianer, die auf den Rücktransport warteten, ein paar frisch eingetroffenen Kubanern, die darauf warteten, im Land willkommen geheißen zu werden, und ein paar Männern anderer Nationalitäten, hauptsächlich Südamerikaner und Bewohner irgendwelcher Karibikinseln, deren Schicksal ungewiss war.
Er wurde viermal verhört. Die Polizei drohte ihm mit einer Anklage, weil er illegal nach Kuba gereist war. Er war kurz davor gewesen, die Männer auszulachen und ihnen von den Realitäten dieses Landes zu berichten, aber er ließ es bleiben. Ein mehr als vierzig Jahre altes Gesetz lässt sich nicht einfach so argumentativ widerlegen, egal wie absurd, widersprüchlich und heuchlerisch man es finden mag. Dann war das FBI an der Reihe, mit zwei Verhören. Sie befragten ihn nach seiner Beziehung zu Vanetta Brown und wie geheime Regierungsdokumente in seinen Besitz gelangt waren. Er erzählte ihnen eine selektive Version der Wahrheit, in der sämtliche Namen fehlten und auch sonst fast alles, was geschehen war. Es war eine einfache, solide Geschichte und daher leicht einzuprägen, weshalb es den Verhörspezialisten nicht gelang, ihn in irgendwelche Widersprüche zu verstricken, auch wenn sie ihm immer wieder und auf unterschiedliche Arten die gleichen Fragen stellten. Sie waren gut, aber Max war besser. Als Letztes kam ein Idiot vom Heimatschutz, um ihm die gleichen Fragen noch einmal zu stellen, nur dieses Mal aus der Perspektive der Terroristenbekämpfung. Auf die Frage, ob Max Kontakt zu muslimischen Extremisten unterhalte, hätte er beinah geantwortet, klar, er habe im Vorbeifahren den Zaun von Gitmo gesehen. Stattdessen ließ er Wendy Pecks Namen fallen, woraufhin der Heimatschutz-Mann eilig den Raum verließ und versprach wiederzukommen. Was er nicht tat.
Am nächsten Tag gegen Nachmittag ließen sie ihn laufen. Ohne Erklärung. Nur ein »Sie können gehen« und das Geld fürs Taxi nach Hause.
In seiner Wohnung fand er ein paar Rechnungen und staubige Leere vor.
Er kochte sich einen Kaffee und trank ihn genüsslich. Die Tasse war viel zu schnell leer, und Max machte sich noch eine, die er mit auf den Balkon nahm. Dies war genau der Ausblick, den Solomon Boukman ihm vorgeführt hatte, den er von genau der gleichen Stelle gefilmt hatte, an der nun Max stand. Max sah ihn und roch Benzin.
Alles war ihm vertraut, so wie früher. Aber zugleich war auch alles anders, und nichts würde mehr so sein, wie es gewesen war.
Eine Woche später erfuhr er aus den Nachrichten, dass Wendy Peck mit sofortiger Wirkung ihr Amt niedergelegt hatte – um mehr Zeit für die Familie zu haben und sich neuen Herausforderungen zu widmen, hieß es. Ihr Vorgesetzter gratulierte ihr zu ihrer guten Arbeit und wünschte ihr alles Gute für die Zukunft.
Max setzte sich an den Computer und rief die Seite Justice4Dennis.com auf. Es gab sie nicht mehr.
Vanetta Brown jedoch stand weiterhin unter »meistgesuchte Personen« auf der FBI-Fahndungsliste: eine Inlandsterroristin, auf deren Kopf eine Belohnung von einer halben Million Dollar ausgesetzt war und die sich derzeit aller Wahrscheinlichkeit nach in Havanna, Kuba, aufhielt. Wie sie gesagt hatte: Ihre Unschuld war rein akademischer Natur.
Er war nicht überrascht. Nicht im Mindesten. Er
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