Todesritual: Thriller (German Edition)
den er trainiert hatte – 1990 bei einem Bootsunglück in Mexiko ums Leben gekommen waren. Anschließend hatten sie erfahren, dass die beiden kurz zuvor geheiratet hatten und Leanne schwanger war. Das hatte Eldon mehr zu schaffen gemacht als die Nachricht von dem Unfall – der Junge, den er aufgenommen und erzogen hatte wie seinen eigenen Sohn, hatte seine jüngste Tochter gevögelt.
Aber Eldon war froh gewesen, Lexi los zu sein, die Scheidung hatte also nicht allzu wehgetan, wohl aber die Abfindung: 10 Millionen Dollar und das Haus in Hialeah. Er hatte dieses Haus geliebt.
Dann hatte er Abe verloren. Sein bester Freund und einstiger Partner bei der Polizei von Miami hatte im Sommer 1999 die Diagnose Lungenkrebs bekommen. Dreiundvierzig Jahre lang hatte Abe jeden Tag zwei Schachteln Chesterfield ohne Filter geraucht. Eldon hatte mit angesehen, wie Abe auf einem Krankenhausbett dahinsiechte, bis nicht viel mehr von ihm übrig war als ein pfeifender Kopf auf einem spindeldürren Körper, der durch Schläuche ernährt wurde und durch Schläuche atmete, pinkelte und schiss. Er starb an Silvester 2000 wenige Minuten vor Mitternacht.
Abe war begraben worden, wie er es sich gewünscht hatte: in Ausgehuniform, den 1911er Colt mit dem perlmuttbesetzten Griff an der Hüfte, und an den Füßen die Stiefel, die sein gefallener Sohn in Vietnam getragen hatte. In der Hand eine Flasche Wray & Nephew, sein Lieblingsrum, und in den Hosentaschen zwei Schachteln Zigaretten, sein Zippo und ein Beutel Silberdollars. Erklärt hatte er Eldon seine Beerdigungswünsche folgendermaßen: »Wahrscheinlich muss ich mich für alles, was ich angestellt habe, aus der Hölle freikaufen oder freischießen. Wenn das nicht hinhaut, kann ich immer noch mit dem Teufel einen trinken.«
In den folgenden zwei Monaten hatte sich das Boxstudio nach und nach geleert. Eldon hatte weder Zeit noch Lust, die Boxer selbst zu trainieren, und auf keinen Fall wollte er einen Ersatz für Abe einstellen. Und so entschwanden seine Leute zu anderen Studios, anderen Sportarten oder zurück auf die Straße, von der sie gekommen waren.
Und das war erst der Anfang.
Eldon hatte das neue Jahrtausend als Sonderberater des Polizeipräsidenten begonnen, aber wer sich auskannte in dieser Stadt, wusste, dass das ein rein nomineller Titel war, der nur dazu diente, seine Anwesenheit in den Reihen der Polizei von Miami auch nach seiner offiziellen Pensionierung zu rechtfertigen.
Dann hatte die Innenrevision Eldons Beziehung zu Victor Marko unter die Lupe genommen, einem Problemlöser der Politik, der wegen Mordes unter Anklage stand. Für die Dauer der Ermittlungen zu dieser Verbindung, die sich über dreißig Jahre erstreckte, war Eldon vom Dienst suspendiert worden.
Drei Monate später hatten sie ihn zum Verhör geladen. Eldon war vorbereitet gewesen. Er war schon lange vorbereitet gewesen. Er ging ohne Anwalt. Er brauchte keinen. In all den Jahren bei der Polizei hatte er bei ungefähr jedem, der je den Eid geleistet hatte, irgendeinen Dreck auf der Weste gefunden und dokumentiert.
Ganze zwanzig Minuten behielten die Ermittler ihn im Verhörzimmer. Er redete offen und sehr deutlich mit ihnen und legte dabei nur die Spitze des Scheißbergs frei, den er aus dem Leben ihrer Vorgesetzten zusammengetragen hatte – welche allesamt im Nebenzimmer vor dem Videobildschirm saßen und zusahen.
Man bot ihm einen Deal an. Er durfte alles behalten – sein Vermögen, seine Häuser, seine Pension, seinen Ruf und seine Freiheit –, aber er musste sein Amt auf der Stelle niederlegen und schnell und sehr, sehr leise von der Bildfläche verschwinden.
Und so hatte er sich in das Studio auf der 7th Avenue zurückgezogen, wo, in vielerlei Hinsicht, alles begonnen hatte.
Eldon brauchte eine Weile, um den Mann, der vor der Glasscheibe zu seinem Büro stand, von den Geistern zu unterscheiden, die er heraufbeschworen hatte. Erst als er begriff, dass der Neger kein Produkt seiner Fantasie war, kehrte er in die verwahrloste, vereinsamte Gegenwart seines Studios zurück, in der es nur sie beide gab.
Es sah aus, als würde der Mann Eldon durch den Spiegel hindurch direkt anschauen, dabei durchdrang sein ruhiger und unverwandter Blick nur sein eigenes Spiegelbild.
Er war groß und dünn, beinah dürr. Seine Kleider – ein kurzärmeliges schwarzes Hemd und eine Hose von dem gleichen Dunkelbraun wie seine Haut – bauschten sich in der sanften Brise, die durch die zerbrochenen Fenster und das
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