Todesspur
Jule. Diese Partnervermittlung ist der schiere Betrug. Fernando kommt auf sie zu und grinst. Jule springt auf. In diesem Moment ertönt die Filmmusik von Star Wars , sie ist lauter als der dezente Jazz im Oscar ’ s , lauter als das Lachen von Völxen und Oda, die von der Galerie aus ungeniert zu ihr hinunterblicken, und lauter als die Stimme von Jules Mutter, die neben Jule sitzt und sagt, sie solle sich gefälligst nicht so anstellen, sie, Cordula Wedekin, würde Fernando sehr sexy finden.
Die Star-Wars -Musik hört nicht auf. Star Wars ? Jule fährt in die Höhe. Auf der Glasplatte ihres antiken Nachttischchens vibriert und musiziert ihr Mobiltelefon. Den Klingelton hat ihr Fernando vor ein paar Tagen runtergeladen. Noch immer halb benommen drückt sie auf die grüne Taste.
»Frau Wedekin?«
»Ja?«
»Meike Klaasen vom KDD . Man hat mir gesagt, dass Sie Bereitschaftsdienst haben.«
Der Kriminaldauerdienst. Jule wird schlagartig wach. »Richtig. Was gibt es denn?«
»Männliche Leiche in Vahrenwald, Emil-Meyer-Straße Ecke Hüttenstraße. Ein Jugendlicher. Es sieht nach einem Gewaltverbrechen aus, die Spurensicherung ist schon verständigt. Tut mir leid, dass ich Sie so früh stören muss.«
Jules Blick fällt auf die Anzeige ihres Radioweckers. 6 : 47 Uhr. »Sie stören gar nicht. Im Gegenteil.«
Eine hastige Dusche und einen rasch hinuntergestürzten Kaffee später steuert Jule ihren Mini durch die erwachende Stadt. Es nieselt. Was für verrücktes Zeug man doch träumt. Sigmund Freud hätte sicherlich seinen Spaß daran gehabt, genau wie Oda Kristensen, wenn ich ihr davon erzählen würde. Aber gegenüber einer Frau, die Psychologie studiert hat, behält man solche Träume besser für sich, und auch Fernando sollte tunlichst nie davon erfahren.
Das Oscar ’ s hat Jule während der vergangenen Monate zwei Mal besucht, immer mit Leonard. Seit mit ihm Schluss ist, war sie nicht mehr dort, obwohl sie die Bar in der Georgstraße sehr gerne mag. Im Moment gibt es aber niemanden, mit dem sie dorthin gehen könnte.
Jule ist froh, dass ihr Exgeliebter zum LKA gewechselt ist und sie nicht mehr befürchten muss, ihm auf der Dienststelle über den Weg zu laufen. Ob die Tatsache, dass Hauptkommissar Völxens Hund ebenfalls Oscar heißt, etwas mit dem Schauplatz ihres Traums zu tun hat, fragt sich Jule, während sie die Vahrenwalder Straße verlässt und am Conti-Gelände vorbeifährt. Zwei Ecken weiter sieht sie schon die Streifenwagen. Sinnlos zucken die Blaulichter durch den fahlen Morgen und spiegeln sich im nassen Asphalt. Jule parkt ihren Wagen und folgt zu Fuß dem letzten Abschnitt der Straße, die vor einer hohen Mauer endet. Dahinter liegt die Gleisharfe des ehemaligen Hauptgüterbahnhofs Weidendamm und Möhringsberg, die seit den Sechzigerjahren immer mehr verkommt. Bemühungen, die riesige Güterhalle vor dem Verfall zu bewahren und der gesamten Brachfläche neues Leben einzuhauchen, scheitern seit Jahren am fehlenden Geld. Jule weiß darüber Bescheid, seit sie vor zwei Wochen ihre Mutter zu einer Vernissage am Weidendamm begleitet hat. In Berlin oder Hamburg wäre aus der Halle schon längst eine Kunstgalerie oder Ähnliches geworden, hat der eine Gast, ein Architekt, beklagt, und seine Gesprächspartnerin bemerkte naserümpfend, es wäre typisch für Hannover, sich zwölf Hektar Industriebrache mitten in der Stadt zu leisten.
Rechts vor der Mauer liegt das Musikzentrum, Jule ist dort schon auf Rockkonzerten gewesen. Das Tor der Einfahrt steht offen, eine Handvoll Leute stehen davor wie Pilze und starren auf die andere Straßenseite, auf einen von einer Plane verhüllten Körper. Er liegt vor einem verwilderten, mit Eisengittern umzäunten Grundstück, das zu einem Lagerhaus gehört.
Eine junge Frau, weizenblond und hochgewachsen, kommt Jule entgegen. Zum Glück ist Fernando nicht hier, denkt Jule. Mit seinen knapp eins fünfundsiebzig würde er neben dieser friesischen Hünin sofort wieder Komplexe kriegen.
»Frau Wedekin? Meike Klaasen, wir haben telefoniert.«
»Guten Morgen. Wer ist der Tote?«
»Ein Jugendlicher, mehr wissen wir nicht. Keine Papiere, kein Handy. Es sieht sehr nach einem Überfall aus. Das musste ja mal so weit kommen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Lesen Sie keine Zeitung? Hier in der Gegend treibt sich zurzeit eine Bande jugendlicher Intensivtäter herum. Vor zwei Wochen haben sie am helllichten Tag einen erwachsenen Mann verprügelt und ausgeraubt.«
Jule erinnert sich an
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