Todesträume am Montparnasse
zu einem Bauernhof. Er sieht aus wie die typischen Höfe damals bei Großmutter auf dem Land. Überall liegen Berge von Kartoffeln auf der Erde, leere Säcke, allerlei Gerümpel. Alex und ich rufen, machen uns bemerkbar.
Niemand antwortet, offenbar ist der Hof verlassen. In den Ställen brüllt das Vieh, und ich sage zu Alex, dass die Kühe wohl dringend gemolken werden müssen.
Alex macht den Vorschlag, im Haus und in den Nebengebäuden nachzusehen, ob irgendwo Menschen
sind. Wir teilen uns auf. Ich gehe ins Haus, das ein einfaches Holzhaus ist. Alex verschwindet in der Scheune.
In der Küche sehe ich, dass ein Topf auf dem Feuer steht, als würde eine Mahlzeit gekocht. Doch niemand ist zu sehen. Gerade will ich in die angrenzende Stube gehen, da höre ich einen gellenden Schrei, der gleich danach abbricht. Ich weiß sofort, das ist Alex, und er ist in höchster Gefahr.
Ich renne aus dem Haus, auf die Scheune zu. Nichts ist zu hören oder zu sehen. Am Eingang der Scheune kommt mir eine Katze entgegengesprungen, sie miaut und scheint völlig außer sich zu sein.
Voller Angst betrete ich die Scheune, obwohl ich bereits weiß, was mich da erwartet. Wie unter Zwang gehe ich trotzdem hinein. In der Mitte der Scheune liegt Alex auf dem Boden, der aus Erdreich besteht und vereinzelt mit Strohbüscheln bedeckt ist. Er ist vollkommen nackt, sein Körper zusammengekrümmt. Als ich näher herangehe, sehe ich seinen abgeschlagenen Kopf, der in seiner Armbeuge liegt, als halte er ihn fest. Ich schreie, so laut ich kann, doch kein Ton dringt aus meiner Kehle. Niemand wird mich hören.
Erst jetzt sehe ich, dass die Scheune zur anderen Seite hin offen ist. Mein Blick fällt hinaus. Eine Gruppe von Reitern galoppiert in scharfem Tempo weg vom Hof, Richtung Felder. Mit ist klar, dass es
die Mörder meines Bruders sind. Gleich wird sie das trübe Licht, das wie Nebel wirkt, verschlucken. Jetzt dreht sich einer der Reiter um, pariert sein Pferd durch und deutet mit ausgestrecktem Arm zur Scheune. Ich weiß, er deutet auf mich, die ich beim Leichnam meines Bruders stehe und den Reitern nachstarre. Plötzlich erkenne ich den, der sich zu mir umgedreht und auf mich gezeigt hat. Es ist Mick, ein früherer Schulkamerad von Alex.
Die Reiter wenden ihre Pferde und preschen zurück. Ich weiß, dass ich keine Chance habe. Neben dem Leichnam meines Bruders sinke ich auf die Knie und erwarte das Unausweichliche. Das Getrappel der Pferde kommt näher und näher, es dröhnt in meinen Ohren.
Ich wache auf.
Das war kurz nach fünf heute früh. Schweißgebadet und mit Herzrasen brauchte ich einen Moment, um zu begreifen, dass ich hier in Paris in meinem Bett lag. Noch jetzt, viele Stunden später, zittere ich, während ich diesen Traum hier in meinem Büro aufschreibe.
19. KAPITEL
Es war kurz nach halb vier. In einer knappen Stunde würde Célines Maschine auf dem Flughafen Roissy landen. Du brauchst mich nicht abzuholen, hatte sie ihm am Morgen gesagt.
Unter normalen Umständen hätte er es vielleicht möglich gemacht, trotz der Mordermittlungen. Die traten im Moment ja ohnehin auf der Stelle. Die Beschattungsaktion für Christine Payan konnte einige Tage dauern, und auch dann war keineswegs sicher, dass sich ein Erfolg abzeichnen würde.
Du brauchst mich nicht abzuholen … Das war eindeutig. Céline hatte ihm eine Tür vor der Nase zugeschlagen, und er musste sehen, wie er sie wieder öffnete.
Vor wenigen Minuten hatte die Presse bei LaBréa angerufen. Ein Redakteur des Figaro wollte Einzelheiten über die Mordfälle erfahren, insbesondere hinsichtlich der Kastration der beiden Männer. LaBréa hatte nur ausweichend geantwortet. Der Name von Pascal Masson war inzwischen durchgesickert; anscheinend hatte einer der Mechaniker nicht dichtgehalten. Doch bezüglich des zweiten Opfers wusste die Presse nur, wo der Tatort lag. Die Zeitungsleute kannten weder Vlankovics Namen noch dessen Nationalität.
Geschweige denn, dass sich eine Verbindung zu den Geschehnissen im Bosnienkrieg herstellen ließ. Entsprechend gelassen sah LaBréa dem Bericht in der morgigen Ausgabe der Zeitung entgegen.
Gerade wollte er den Hörer abnehmen, um seinen Bruder anzurufen, als ein anderes Gespräch hereinkam.
»Chef«, hörte er Claudines Stimme. »Vor zehn Minuten haben die beiden Frauen das Sélect verlassen. Ich habe mich an den Hinterreifen dieser Frau geklemmt, mit der die Payan verabredet war.«
»Und?«, fragte LaBréa gespannt.
»Sie ist zum
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