Todeszauber
Trotzdem greife ich nach ihrem Handgelenk. In der Hoffnung, noch einen Hauch von Puls zu ertasten. Doch da ist nichts.
»Miguel, wir müssen die Polizei …«, sage ich und drehe mich zu ihm um. Aber hinter mir steht kein Miguel. Dafür höre ich laut polternde Schritte im Treppenhaus.
Ich fasse es nicht! Er haut ab. Erst schleppt er mich, von unheilschwangeren Gefühlen getrieben, hierher und jetzt macht er sich aus dem Staub. Lässt mich in dieser beschissenen Situation einfach allein. Mit einem Mal fühle ich mich nur noch müde und deprimiert. Warum immer ich, denke ich. Warum muss immer ich über irgendwelche Leichen stolpern. Ich wollte nichts weiter als Salsa tanzen. Ich hatte mich darauf gefreut, mich vorbereitet, heute Morgen sogar vor dem Spiegel geübt. Und jetzt tanze ich nicht Salsa, sondern stehe neben der Leiche der Frau, die mir die Linksdrehungen hätte beibringen sollen.
Resigniert sehe ich auf sie herab. Auf ihren durchtrainierten schmalen Köper, auf ihr langes, schwarzes Haar, um das ich sie immer beneidet habe, auf ihre gebräunte Haut, die jetzt nicht mehr braun, sondern fast weiß wirkt. Ich habe sie gemocht, aber nicht besonders gut gekannt. Es gab keine privaten Gespräche, keinen Gedankenaustausch, keine schwesterlichen Gefühle. Und doch berührt mich ihr Tod, dieser Ausdruck von Erstaunen, den ich in ihren Gesichtszügen wahrzunehmen glaube.
In der ganzen Wohnung gibt es nicht einen Hinweis auf einen Einbruch oder einen Kampf. Sogar ihr Schmuck, eine schmale goldene Halskette und eine goldene Kreole mit einem leuchtend roten Rubin, liegt unberührt auf dem Nachttisch. Sie muss ihren Mörder gekannt, ihm vertraut und ihn hereingelassen haben. Sie hat nicht damit gerechnet, dass er tun würde, was er getan hat.
Ich reiße mich von ihrem Anblick los und überlege, was ich tun soll. Die Polizei anrufen, ist mein erster Gedanke. Mein zweiter, erst einmal nichts zu überstürzen. Ich werde mich ohnehin einer Menge unangenehmer Fragen stellen müssen. Da kann ich mich vorher auch noch ein bisschen umsehen. Schließlich bin ich Privatdetektivin.
Da ich beim Durchsuchen ihrer Sachen keine Fingerabdrücke hinterlassen möchte, fische ich ein Tempo aus meiner Manteltasche und öffne mit dem Tuch in der Hand Isabels Kleiderschrank. Neben einer Reihe leerer Bügel finde ich mehrere aufwendig gearbeitete Abendkleider, die alle sehr schmal geschnitten, hoch geschlitzt und entweder hinten oder vorn tief dekolletiert sind. Das ist keine normale Abendgarderobe, wie man sie zur Opernpremiere oder auf Kreuzfahrtschiffen zum Captain’s Dinner trägt, das ist Showkleidung. Für Showgirls, die keine Hemmungen haben, ihren Körper zu zeigen. Ich frage mich, wann Isabel die getragen hat. Bei Salsa-Vorführungen? Salsa ist zwar sehr sexy und die weiblichen Profis tanzen in provozierend knappen Kleidchen, aber diese mit Pailletten, Strasssteinen und exotischen Federn geschmückten Kreationen wollen mir nicht so recht zu Salsa passen.
Ich schließe den Kleiderschrank und kehre ins Wohnzimmer zurück, öffne die Türen eines alten Sideboards, ziehe Schubladen auf, studiere die in schmalen Billyregalen aufgereihten Buchrücken. Neben spanischsprachigen Romanen entdecke ich auch einige Bücher in Deutsch. Einen Reiseführer über Kuba, ein Buch über kubanische Voodoo-Religionen und drei Bücher zum Thema Zauberei. Alles nicht sonderlich ergiebig. Auch die Briefe auf dem Tisch bringen mich nicht weiter. Zwei Bankauszüge, die zeigen, dass Isabel ein Konto bei der Haspa hatte. Mit einem Guthaben über fünfhundert Euro. Eine Rechnung von Vattenfall und ein handschriftlich verfasstes Schreiben auf Spanisch. Absender Carmen Ortega, Cuba. Wohl jemand aus Isabels Familie.
Ich lege die Briefumschläge zurück und gehe ins Schlafzimmer, sehe mich ein letztes Mal um. Habe ich etwas vergessen?
Das Bett! Ich spähe darunter. Nicht eine Staubfluse, dafür entdecke ich einen silbernen Bilderrahmen. Das Glas ist zerbrochen und hat auf dem Foto einen Kratzer hinterlassen. Vorsichtig entferne ich die Glassplitter und ziehe das Foto heraus. Isabel in den Armen eines älteren Mannes. Im Hintergrund tiefblaues Meer bei strahlend schönem Wetter. Ich komme wieder hoch, öffne die Schublade des Nachtschränkchens und lasse den kaputten Rahmen und die Glassplitter darin verschwinden.
»Was machen Sie da?«
Erschrocken fahre ich herum und stehe vor einem Mann, der mich mit grimmiger Miene mustert.
»Erst mal möchte ich wissen,
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