Todeszauber
Privatkurs ausgesucht habe.
Als er zurückkommt, trägt er über der Schulter ein Handtuch, das er mir mit einer lässigen Bewegung zuwirft.
»Was machen wir heute?«, frage ich und rubble mir die Haare trocken.
»Linksdrehungen.« Miguel sieht wieder auf die Uhr.
»Sollen wir Isabel anrufen?«, frage ich. »Vielleicht hat sie vergessen, die Stunde in ihrem Kalender einzutragen.«
Nachdenklich betrachtet er mich. Dann zückt er sein Handy, tippt eine Nummer ein, wartet und klappt es wieder zu.
»Die Mailbox«, sagt er und kaut auf seiner Unterlippe.
»Na ja. Die Linksdrehungen können wir eigentlich doch auch allein üben, oder?«, schlage ich vor.
»I know where she lives«, erwidert er. »In der Juliusstraße. Direkt neben dem Haus, in dem ich wohne.«
»Meinst du, ihr ist etwas passiert?«
Miguel schüttelt den Kopf. »But it’s strange. She never comes late.« Er greift nach seiner Jacke, die über einem der Barhocker liegt. »Let’s go!«
Angewidert sehe ich auf meine nassen Schuhe. Die Vorstellung, da wieder hineinschlüpfen zu müssen, ist mir zuwider.
»Muss das sein?«, frage ich und bekomme keine Antwort. Miguel hat den Club schon verlassen.
Mit feuchten Haaren, nassem Mantel und eiskalten Füßen laufe ich durch das Schanzenviertel. Miguel hinterher, der ein viel zu hohes Tempo vorlegt. Dabei weiß ich jetzt schon, wie die Geschichte enden wird. Wahrscheinlich liegt die gute Isabel mit ihrem aktuellen Lover im Bett und ist wahnsinnig erfreut, uns zu sehen. Oder es ist überhaupt niemand zu Hause. Und wir klingeln uns die Finger wund.
Miguel hastet bei Rot über die Ampel und verschwindet in der Juliusstraße. Als ich dort ankomme, sehe ich ihn vor einem dunkelgrün gestrichenen Jugendstilhaus. Er winkt mir kurz zu und geht hinein. Na wenigstens hat er so lange gewartet, bis ich in Sichtweite war. Im dritten Stock hole ich ihn wieder ein. Er steht vor einer sperrangelweit geöffneten Wohnungstür.
»The door was open«, sagt er und ist sichtlich verunsichert.
Ich schnappe nach Luft. Meine Kondition ist zurzeit nicht die beste.
»Warum rennst du eigentlich so?«, frage ich und halte mich am Treppengeländer fest.
»I’ve got a strange feeling …«
»Männer und Gefühle.« Ich verdrehe die Augen und nähere mich der Tür. »Isabel!«, rufe ich. »Bist du zu Hause?«
Keine Antwort. Ich betrete den schmalen Flur und räume fast die Garderobe ab, die rechts von mir an der Wand befestigt und mit so vielen Mänteln und Jacken vollgehängt ist, dass ich kaum daran vorbeikomme. Zur Linken geht es in eine winzige Küche, mit weißen Einbauschränken und einem von zwei Stühlen flankierten Tisch. Das Bad ist lang und schmal, gelb gefliest und sehr sauber. Die Räume liegen in einem trüben Dämmerlicht, was daher rührt, dass die Rollläden zur Hälfte heruntergelassen sind. Eine Gewohnheit, die Isabel wahrscheinlich von zu Hause übernommen hat, wo die Sonne ein bisschen häufiger und ein bisschen intensiver scheint als in Hamburg.
Als ich das Wohnzimmer betrete, ist das Erste, was ich sehe, ein offener Koffer. In dem Unterwäsche, Pullis, Jacken und Schuhe in wildem Durcheinander liegen.
»Wollte sie verreisen?«, frage ich Miguel erstaunt.
Doch der starrt mich nur mit großen Augen an, so als habe er meine Frage gar nicht gehört.
Ich blicke mich weiter um, mustere die dunklen, altmodischen Holzmöbel, registriere den bunten Ikea-Teppich auf den braun lasierten Holzdielen, die blauen Glasvasen, die auf dem Esstisch zu einem Stillleben arrangiert sind, die Briefumschläge, die daneben liegen. Über der braunen Couch hängt ein mit Heftzwecken befestigtes Poster: weißer Sand, türkisfarbenes Meer, eine Palme, die von links ins Bild ragt. Darüber steht: Bienvenido a Varadero. Ein Hauch von Kuba im kalten Deutschland.
Miguel ist immer noch hinter mir. Ich wende mich kurz zu ihm um und habe das Gefühl, sein Gesichtsausdruck wird von Minute zu Minute panischer.
»Sie ist bestimmt nur kurz runter, um den Müll wegzubringen«, versuche ich, ihn zu beruhigen.
Dann stoße ich die Tür zum Schlafzimmer auf. Und alle Hoffnung ist dahin. Isabel liegt auf dem Bett. In Jeans und T-Shirt. Ein völlig normaler Anblick, wären da nicht ihre weit aufgerissenen Augen und der starre, zur Decke gerichtete Blick. Sie ist tot. Und sie ist eines gewaltsamen Todes gestorben. Die dunkelroten Strangulationsmale an ihrem Hals und die geplatzten Äderchen im Weiß ihrer Augäpfel sind deutliche Indizien.
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