Toechter der Dunkelheit
fürchten, dein Verstand könnte zwar unbeschädigt sein, deine Seele hingegen zerstört, da du oft so unbeherrscht bist. Niemand weiß, was du in deiner Wut alles anrichten kannst! Noch schlimmer sind die Neider, die es nicht verkraften können, wie mächtig deine Magie ist, wie anders du bist. Zwei, ja, eigentlich sogar drei Seelenvertraute, das ist mehr als ungewöhnlich. Du lernst leichter und schneller als die meisten anderen, und das nehmen sie dir übel. Shora war früher beliebt, doch ihre eigenmächtige Entscheidung war für viele Hexen unverzeihlich. Die Gefahr, die sie mit dir zu uns
brachte, können sie nicht vergessen. Das ist der Grund, warum Shora so sehr am Rande unserer Gemeinschaft leben muss, warum du ebenfalls fast eine Geächtete bist. Das alles ist aber auch der größte Beweis dafür, was Shora bereit ist, für dich zu tun. Sei gewiss, sie liebt dich mehr als ihr eigenes Leben. Du solltest das niemals vergessen. Shora liebt dich. Sie wird jederzeit für dich sterben, und sie wird ganz gewiss sterben, falls du dich von ihr abwendest. Aber ich ... Inani, du kannst mir vertrauen. Wenn ich zwischen dir und Ylanka entscheiden müsste, ich würde stets dein Leben wählen.“
Sorgenvoll blickte Kythara in das bleiche, tränenüberströmte Gesicht des Mädchens, das sich zu Boden sinken ließ und Halt bei ihren Vertrauten suchte. Sie wusste um die Gefahr, die in diesem übermäßig starken Bund mit einem Raubtier lag, sie wusste, wie leicht sie das Mädchen verlieren könnte.
Es dauerte lange, bis Inani aufhörte zu zittern und sie ruhiger atmete. Als sie schließlich sprach, war ihre Stimme so leise, dass Kythara sie kaum hören konnte: „Ich habe bis heute nicht verstanden, was es bedeutet, eine Tochter Pyas zu sein. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich weiß nicht, ob ich der Göttin gehorchen kann, meine Lebensaufgabe annehmen ... Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich es will.“
Kythara kniete nieder und zog Inani behutsam auf die Füße.
„Das weiß niemand. Das ist eine Entscheidung, die du jeden Tag von neuem treffen musst. Für heute reicht es, wenn du mir sagst, ob du dich deiner neuen Aufgabe stellen willst. Ich möchte, dass du mit Shora und Alanée nach Roen Orm gehst, an den Königshof. Sie werden dich dort mit Hilfe anderer Hexen unauffällig in allen wichtigen Fertigkeiten unterrichten und dafür sorgen, dass du Ilat genauestens beobachten kannst. Du sollst mit Niyam von den Loy zusammenarbeiten und alles, was er liefert, zu Thamar und seinen Verbündeten bringen. Auf diese Weise kannst du Corin nahe bleiben, was euch beiden sicher gut tun wird. Ich denke, fern von dieser Welt wird es dir leichter fallen, Frieden mit Pya zu schließen. Dein Schicksal liegt nicht diesseits des Nebels, so viel ist gewiss. Außerdem kannst du dein Rachespiel auf diese Weise viel intensiver genießen. Was sagst du?“
Inani hielt das Gesicht im Fell der Leopardin verborgen, sie schwieg lange Zeit, während Kythara wartete und beobachtete. Es war wundersam anzusehen, wie Inanis wild gelocktes Haar sich von glänzendem Schwarz zu einem satten Rotton färbte. Es war die einzige Antwort, die sie brauchte. Als das Mädchen schließlich aufstand und ruhig lächelte, ruhte es vollkommen in sich selbst.
„Ich bin einverstanden. Für die Gelegenheit, nagaurischen Verbformen zu entfliehen, würde ich alles tun. Alles!“
Lachend rannte Inani los, die Kyphra im Arm, die Leopardin an ihrer Seite.
„Dieses Kind wird mich eines Tages umbringen!“, sagte Kythara seufzend zu ihrem Raben.
„So ist es“, erwiderte der Vogel krächzend, und flog auf in die Wipfel der Bäume.
26.
Zeit und Glück sind jene Gaben, die das Leben uns überreich beschert, doch das, was wir nicht ergreifen, fließt durch unsere Hände und kehrt niemals wieder zurück.
Sinnspruch, Ursprung unbekannt
Die uralte Hexe seufzte, Erschöpfung hatte sie aus ihren Erinnerungen gerissen. Ja, dies war ein langer Tag gewesen, ein bedeutsamer Tag. Der Beginn ihres ersten Rachespiels, ihr erster Eindruck von Roen Orm. Ihre erste Begegnung mit Niyam, und Janiel ... Janiel!
Ihre Versöhnung mit ihrer Mutter. Schon am nächsten Morgen waren sie nach Roen Orm gereist. Diesmal in einer vornehmen Kutsche, gekleidet wie adlige Damen aus Dror, dem nahe gelegenen Fürstentum, das Kriegspferde an das Königreich lieferte. Man erwartete von drorischen Frauen, dass sie ein wenig unbeholfen am Hofe waren, deshalb war es nicht weiter
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