Toechter der Dunkelheit
der Bäume. Sie hatte den Wald erreicht.
Das Mädchen schrie auf, als sie es auf die kalte Erde legte, die hohen, jammernden Töne quälten ihre überreizten Sinne.
Jaob schlägt mich tot, wenn er das Kind hier finden sollte. Ah, er schlägt mich sowieso tot, er glaubt ja nicht an Hexen! Dass ich seine Tochter wegschaffen musste, wird er mir niemals verzeihen. Ich hätte sie erst erwürgen und ihm vorzeigen sollen. Nur hätte er sie gesegnet begraben, und alle wissen doch, was die Hexen dann tun! Der Fluch hätte uns alle vernichtet.
Linna wühlte mit bloßen Händen in der feuchten Erde, hob ein knietiefes Loch aus.
Die Wölfe werden’s finden, oder die Saduj, sei’s drum! Ich muss zurück zu Kelina.
Sie warf die Nachgeburt in das Loch und begrub sie rasch mit Erde. Es gab vorgeschriebene Regeln, wie man diese Arbeit richtig auszuführen hatte, damit kein Diener der Dunkelheit die Nachgeburt nehmen und finstere Riten damit vornehmen konnte. Aber die kannte Linna nicht – sie hatte nie mit einer richtigen Wehenfrau sprechen können, ihre Herrschaften wollten solche dummgläubigen Weiber nicht auf dem Gutshof sehen.
Und du, kleine Hexe? Du bringst mir den Tod. Deine Mutter hast du wahrscheinlich schon umgebracht, also, was soll’s? Sie war der letzte Mensch, der zu mir gehörte.
„Hol dich der Finsterling, die Todesgöttin und all das Pack!“ Sie schluchzte auf, spuckte zu Boden und ließ das weinende Kind zurück, ohne es zu begraben. Sie war am Ende ihrer Kräfte und ihres Mutes angelangt, wollte nur noch fort, fort von hier!
Kaum war sie im Nebel verschwunden, löste sich eine Gestalt aus dem Dunkel der Bäume. Schlanke Hände hoben das Mädchen vom Boden hoch, strichen sanft über das winzige Köpfchen. Die jämmerlichen Schreie verstummten sofort.
„Lass dich ansehen, meine Schöne“, wisperte eine warme Stimme.
„Ist sie lebensfähig, Shora?“ Eine zweite Gestalt kam hinzu.
„Ja, sie ist gesund und stark.“ Shora drehte sich, um das Kind präsentieren zu können.
„Sieh nur ihre Augen, Alanée, die Gabe ist stark in ihr.“
„Du hast Recht. Ja, wir werden sie als eine der unseren aufnehmen. Folge der Alten, du kennst das Gesetz!“
Shora nickte stumm. Es gab kein Gesetz, das sie mehr liebte:
Wird ein Kind der Menschen als Hexe in den Bund der Dunklen Schwestern aufgenommen, müssen zwei Menschenleben gerettet werden. Eines, um die Geburt des Kindes zu feiern, eines, um Ti, dem Gott der Sonne zu huldigen, der um ein Leben betrogen wird.
„Ich werde beide Frauen retten. Und, Alanée: Ich will das Mädchen für mich. Es soll meine Tochter sein.“
Eine Weile stand Alanée still. Dann erwiderte sie: „Das ist verboten, Shora. Der Rat muss darüber abstimmen, wem sie zugeteilt wird!“
„Ich will sie für mich, egal, ob der Rat damit einverstanden ist oder nicht.“
Ein Windstoß blies Shora das lange blonde Haar ins Gesicht. Sie strich es ungeduldig über die Schulter und sah zu Alanée auf, die sie forschend musterte.
„Du weißt, was geschehen könnte, wenn dies als Bruch des Gesetzes ausgelegt wird? Du hast zwar viele Freundinnen im Rat, sie müssen dich allerdings nicht schützen.“
„Dies ist meine Tochter“, sagte Shora schlicht und presste das Mädchen an sich. Ihre Freundin senkte seufzend den Blick.
Dann streckte sie die Arme aus, um das Kind an sich zu nehmen und sagte: „So soll es sein. Ich werde deine Tochter beschützen, bis du zurückkehrst. Nun eile dich, sonst ist es für Kelina zu spät.“
„Inani. Der Name meiner Tochter ist Inani.“
Shora verschwand im Nebel, lautlos und rasch. Alanée schob die Kapuze ihres Umhanges vom Kopf, um das Mädchen besser betrachten zu können, und fühlte sich gefangen von dem intensiven Blick des Neugeborenen.
„Inani also. Die Kriegerin. Ein starker Name, aber Shora hat Recht: Die Gabe ist stark in dir. Viel zu stark ... Heute ist ein glücklicher Tag für dich, kleine Inani: Wärest du nur eine Stunde früher geboren, hätte niemand mehr deine Mutter retten können. Beten wir zur Göttin, dass du auch deiner neuen Mutter Glück statt Tod bringst. Beten wir, dass du nicht bist, was ich in dir sehe.“
Shora wurde eins mit den Schatten in der Scheune. Sie war nicht unsichtbar, doch Linna hätte sie direkt anstarren können und trotzdem nichts von ihrer Anwesenheit gespürt. Die Alte saß zusammengekrümmt auf dem Boden und hielt die Hand ihrer sterbenden Enkelin, den Blick in die Leere gerichtet.
„Eiye
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