Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)

Titel: Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Spotswood
Vom Netzwerk:
bringen den Armen Essen und kümmern uns um die Kranken. Das ist sogar wahr – aber es ist ebenso wahr, dass wir Hexen sind, die sich vor aller Augen unter der Schwesterntracht verstecken. Und zwar jede Einzelne von uns. Wenn die Leute erführen, was wir wirklich sind, würde sich ihre Dankbarkeit mit Sicherheit in Angst verwandeln. Sie würden uns für sündhaft, rücksichtslos und gefährlich halten und wollen, dass man uns ins Irrenhaus sperrt – oder Schlimmeres.
    Doch dafür können sie nichts. Es ist das, was die Bruderschaft jeden Sonntag in der Kirche predigt. Niemand würde es riskieren, sich gegen die Bruderschaft aufzulehnen, und die Armen haben es ohnehin schon schwer genug.
    Wie freundlich Mrs Anderson auch sein mag, sie würde sich von uns abwenden. Das müsste sie, allein schon um ihrer Kinder willen. Alle würden sich von uns abwenden.
    »Schwester Cathrine!« Ein kleiner Junge kommt aus dem Schlafzimmer gerannt, in den Händen hält er Jacks. Wie jedes Kind ist er vollkommen fasziniert von diesem Geschicklichkeitsspiel, und sein Mund ist mit Johannisbeermarmelade beschmiert, die wir letzte Woche aus Schwester Sophias Keller mitgebracht haben. Alice schreckt vor seinen klebrigen Fingern zurück.
    »Guten Tag, Henry.« Dies ist erst mein dritter Besuch bei den Andersons, und doch sind Henry und ich schon fast richtig befreundet. Ich glaube, er ist ziemlich einsam. Jetzt, da seine Mutter Lavinia jeden Tag arbeiten geht, verbringen Henry und seine kleine Schwester, die noch ein Säugling ist, den ganzen Tag bei einer älteren Nachbarin. Es muss unglaublich langweilig für ihn sein.
    »Henry, lass Schwester Catherine in Ruhe«, schimpft seine Mutter.
    »Schon in Ordnung. Er stört mich nicht.« Ich beuge mich zum Korb hinunter, um die letzte Sache herauszunehmen – ein Glas mit eingemachten Tomaten, deren Kerne im roten Saft schwimmen –, und als ich an Henry vorbei ins Schlafzimmer blicke, sehe ich die mit Stroh gepolsterten Pritschen. Bei meinem ersten Besuch standen dort noch ein schönes Schlittenbett aus Mahagoni, ein dazu passendes Kinderbett auf Rollen und ein Kleiderschrank, doch Lavinia musste die Möbel verkaufen. Jetzt ist ihr hübscher blauer Hochzeitsquilt ordentlich über der Bettdecke festgesteckt, und die Kleider sind in Pappkartons verstaut.
    Henry setzt sich auf den Boden, wirft die Jacks und grinst mich mit einem Mund voller Zahnlücken an. Ich bin etwas aus der Übung, aber früher habe ich bei diesem Spiel immer gewonnen. Da blitzt eine Erinnerung auf: Paul McLeod, der mir an einem heißen Sommertag auf dem gepflasterten Weg unseres Gartens gegenüberhockt, um uns herum der Geruch von frisch gemähtem Gras.
    Vor gar nicht allzu langer Zeit hätten mich solche Erinnerungen an meinen Kindheitsfreund noch zum Lächeln gebracht, aber das ist vorbei. Ich habe Paul wirklich schlecht behandelt, und ich werde mich niemals dafür entschuldigen können.
    Dabei ist er noch nicht einmal derjenige, den ich am tiefsten verletzt habe. Die Gedanken verfolgen mich seit Wochen erbarmungslos.
    »Ich habe geübt«, verkündet Henry und zupft an seinen schmutzigen, ursprünglich weißen Ärmeln, die die dünnen Unterarme nur unzureichend bedecken. »Gestern hab ich neun geschafft. Ich gewinne bestimmt.«
    »Na, dann wollen wir mal sehen.« Ich setze mich ihm gegenüber, während Alice und Mei sich mit Mrs Anderson auf das fleckige braune Sofa quetschen, die Hände falten und die Köpfe zum Gebet neigen. Ich sollte eigentlich mit ihnen beten, aber meine Beziehung zum Herrn ist in letzter Zeit etwas angeschlagen. Ich bin zwar bei guter Gesundheit und vor den wachsamen Blicken der Bruderschaft sicher, aber es ist trotzdem schwer, dankbar zu sein, wenn die von mir geliebten Menschen alle zu Hause in Chatham sind, während ich hier in New London ganz auf mich gestellt bin.
    Ich vermisse meine Schwestern. Ich vermisse Finn. Die Einsamkeit ist wie eine alles verschlingende Leere tief in meinem Inneren.
    Henry und ich sind beide schon bei sieben Jacks, als plötzlich ein wildes Hämmern an der Tür ertönt. Das Geräusch lässt mich erstarren, der rote Gummiball fällt an meiner ausgestreckten Hand vorbei zu Boden.
    Auf dem Weg zur Tür beugt Mrs Anderson sich kurz über die hölzerne Wiege, denn der Säugling ist durch den Lärm aufgewacht. »Schhhh, Eleni«. Die Sanftheit ihrer Stimme lässt mich meine eigene Mutter schmerzlich vermissen.
    Als Mrs Anderson die Tür öffnet, steht dort ein Albtraum aus

Weitere Kostenlose Bücher