Töchter des Mondes - Sternenfluch (German Edition)
mir egal«, erwidert Alice und rümpft ihre aristokratische Nase. »Ich werde jedenfalls nicht so tun, als wären sie mir ebenbürtig. Es ist dumm von ihnen, überhaupt hierherzukommen, so wie die Dinge sind, und es ist noch viel dümmer von ihnen, ständig Kinder in die Welt zu setzen, ohne sie ernähren zu können.«
Mei verschlägt es die Sprache. Ihr Vater ist Schneider, und ihre Mutter nimmt Stickarbeiten an und kümmert sich um Meis jüngeren Bruder und die vier kleinen Schwestern. Mei hat mir einmal erzählt, dass sie ein schlechtes Gewissen hat, im Orden zu leben, statt richtig arbeiten zu gehen. Ihre Familie ist stolz auf ihr angebliches Stipendium für die Klosterschule. Davon, dass sie eine Hexe ist, weiß niemand etwas.
»Wir alle haben unsere Probleme, Alice. Es würde dich nicht umbringen, ein bisschen Mitgefühl zu zeigen«, bemerke ich.
»Oh, ja, gerade du hast es ja auch besonders schwer, Cate Cahill. Aus der Versenkung in deinem Provinznest ans Licht geholt zu werden und erzählt zu bekommen, dass du uns alle retten wirst!« Alice verdreht schon wieder die Augen. Hoffentlich werden sie eines Tages so stehen bleiben. »Ich persönlich glaube ja nicht daran. So eine verängstigte, kleine graue Maus wie du?«
Es ist wahr, ich bin keine besondere Schönheit – aber verängstigt? Ich muss beinah lachen. Ja, ich weiß, wann es angebracht ist, den Kopf einzuziehen, und ich vermeide es, in Schwierigkeiten zu geraten. Ich prahle nicht mit meiner Gedankenmagie, und ich schüchtere die anderen Mädchen nicht ein, wenn sie das meint. In den sechs Wochen, die ich jetzt schon an der Schule weile, bin ich bisher die meiste Zeit für mich geblieben. Die Schwestern haben sich alle regelrecht überschlagen, mir Privatstunden zu geben, und so bin ich von morgens bis abends beschäftigt.
Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die Menschen, die mich besser kennen, mich jemals als verängstigt bezeichnen würden.
»So siehst du mich also?« Ich blicke sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Alice spielt mit dem schwarzen Hasenfell an ihren Ärmeln. Sogar ihre Schwesterntracht hat ausgefallene Details, obwohl der Sinn und Zweck einer solchen Uniform ja genau ein anderer ist. »Ja. Und abgesehen von deiner angeblichen Gedankenmagie bist du auch noch eine ganz schöne Anfängerin. Wenn morgen der Krieg ausbrechen würde, was in aller Welt könntest du dann tun? Ich glaube langsam, die ganze Prophezeiung ist völliger Schwachsinn.«
»Ich wünschte, das wäre sie«, gebe ich zu und sehe wieder aus dem Fenster, während die Kutsche von den geschäftigen Straßen am Fluss in das ruhigere Wohnviertel abbiegt, in dem das Kloster liegt.
Vor hundertzwanzig Jahren wurden die Hexen, die damals in Neuengland an der Macht waren – die Töchter von Persephone –, von der Bruderschaft gestürzt. Die nächsten fünfzig Jahre wurde jede Frau, die der Hexerei verdächtigt wurde, ertränkt, gehängt oder bei lebendigem Leib verbrannt. Die wenigen Hexen, die dem Schreckensregime entkommen konnten, tauchten unter. Heute gibt es höchstens noch ein paar Hundert Hexen in Neuengland. Aber kurz bevor die Schreckensherrschaft ihren Anfang nahm, machte eine Seherin eine Prophezeiung, die besagte, dass drei Schwestern geboren werden würden, alle drei Hexen, die noch vor Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ihre magischen Kräfte entdecken sollten. Eine von ihnen, der Gedankenmagie fähig, würde die stärkste Hexe seit Jahrhunderten sein. Sie würde die Hexen zurück an die Macht bringen – oder, wenn sie der Bruderschaft in die Hände fallen sollte, eine zweite Schreckensherrschaft herbeiführen.
Die Schwestern denken, dass ich es bin. Dass ich die Hexe aus der Prophezeiung bin.
Ich selbst bin davon nicht ganz so überzeugt. Aber die Schwestern ließen sich auf den Handel ein, meine Schwestern zu Hause in Chatham zu lassen, wenn sie mich dafür bekämen, und so habe ich meine Freiheit aufgegeben.
Unsere Mutter hat der Schwesternschaft nicht richtig vertraut, und ich tue es auch nicht.
Draußen gehen jetzt flackernd die Straßenlaternen an. Wir rattern an einem halben Dutzend großer Häuser mit gepflegtem Rasen vorbei, bevor wir vor dem Kloster zum Stehen kommen. Es ist ein riesiges dreigeschossiges Gebäude aus verwittertem grauem Stein mit gotischen Bogenfenstern. Eine weiße Marmortreppe führt vom Gehsteig bis zur Eingangstür hinauf, aber hinter dem Haus liegt, umgeben von einer hohen Steinmauer, die ihn vor neugierigen
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