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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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für drei Minuten auf mich hat, wenn ich es zufällig höre, so wie eben.
    Denkst du auch an uns, wenn du es hörst? Was siehst du dabei? Welche Bilder kommen dir in den Sinn, wenn sich die Steinplatte von deinem Gedächtnis hebt?

    Sole an Lena:
    Wie grausam du manchmal sein kannst, Lena, ohne dir dessen bewusst zu sein! Erst sprichst du von diesen glorreichen Zeiten, und dann kommst du wieder auf Mallorca zurück. Du rufst mir in Erinnerung, was aus mir alles hätte werden können, und schon sind wir aufs Neue bei dem leidigen Thema.
    Ich möchte an meine märchenhafte Kindheit denken, an meine Heimat, an süße, fröhliche Dinge, die ich schon vergessen hatte, und du setzt mir wieder einmal die Pistole auf die Brust: Entweder ich gestehe mir die Schuld ein und tröste mich mit dem Gedanken, dafür gebüßt zu haben, immer noch dafür zu büßen, oder ich bestreite sie und vergesse das Ganze. Aber dieses Vergessen umfasst alles, auch das Gute. Das habe ich all die Jahre getan. Darum bin ich fast nie nach Elda gekommen und habe euch nie angerufen, bis du mich im Internet ausfindig gemacht hast. Und du sollst wissen, dass ich dir unglaublich dankbar bin, dass du dich an mich erinnert hast und mir immer noch schreibst, auch wenn ich keine Spur von Nick habe finden können. Aber keine Sorge, ich versuche es weiter. Das Problem ist nur, dass wir ja jetzt in Kuba sind und ich fast keinen Zugriff auf amerikanische Quellen habe; aber das ist halb so wild, denn im Lauf der Jahre habe ich eine Menge Leute kennengelernt und verfüge über gute Kontakte. Wenn ich die Angelegenheit nicht öfter erwähne, dann nur, damit du dir nicht zu viele Hoffnungen machst.
    Deine Briefe sind mir eine große Freude. Ich liebe es, morgens meinen PC einzuschalten und eine deiner typischen Mails vorzufinden, ohne Anrede, ohne Schluss, ohne höfliches Geplänkel. Es ist, als würdest du mir eine Blume schenken, die tagelang hält. Danke, Lena, danke. Eines der Dinge, die mich am meisten schmerzen, ist, dass wir in unserer Jugend nicht die Beziehung zueinander hatten, die wir heute haben.

    »Was meint Sole wohl mit diesem ›Entweder ich gestehe mir die Schuld ein und tröste mich mit dem Gedanken, dafür gebüßt zu haben, immer noch dafür zu büßen, oder ich bestreite sie und vergesse das Ganze‹? Klingt das nicht so ähnlich wie Lenas letzte Botschaft, die wir auf dem Bildschirm vorgefunden haben?«
    »Das lässt sich leicht klären. Wir können Sole ja fragen, ehe sie zurück nach Kuba fliegt.«
    »Das bringt gar nichts! Was sie auch dazu sagt, wir müssten es ihr abnehmen. Oder ist dir noch nicht aufgefallen, dass diese Mädels, immer wenn ich sie nach der Vergangenheit frage, irgendwie … abstrakt werden und letztlich nichts Konkretes aus ihnen herauszubringen ist? Aber probieren kann man es ja … Von deiner Frau hast du nie etwas darüber gehört?«
    David kratzte sich am Kopf und überlegte.
    »Ich weiß nicht, Gerardo. Wenn sie von den alten Zeiten anfangen, suche ich für gewöhnlich das Weite. Ich weiß, dass einige von ihnen sich in dieser Woche auf Mallorca verliebt, entliebt und den Freund gewechselt haben … solche Sachen halt. Aber das ist mehr als drei Jahrzehnte her, das war Kinderkram, wenn du mich fragst. Ich habe dem nie viel Bedeutung beigemessen. Ich kann Ana ja noch mal ansprechen, vielleicht fällt ihr noch etwas dazu ein.«
    »Na los, gehen wir den Rest durch, dann reicht es für heute.«

    Lena an Sole:
    Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass das Erwachsenwerden voller Musik, Liedtexte, Stimmen und Aussprüche ist, die man fortan in sich trägt, während die Kindheit sich auf den Geschmacksinn und vielleicht, noch etwas früher, auf den Tastsinn beschränkt. Ich erinnere mich deutlich daran, wie weich sich der Flanellschlafanzug anfühlte, den ich mit etwa vier Jahren hatte. Weiß mit roten Tupfen, warm und kuschelig. Und an eine graue Strickjacke, die mein Vater überzog, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Wir setzten uns in den Schaukelstuhl im Wohnzimmer, während meine Mutter das Abendessen für sie beide richtete – ich hatte am Spätnachmittag ausgiebig gespeist –, er sang mir etwas vor, und ich klammerte mich wie ein Äffchen an seine Jacke und atmete den Geruch nach Staub und Bakelit und einem Hauch von Rasierwasser; Floyd hieß die Marke.
    Aber in allen meinen Erinnerungen seit der Grundschule ist Geschmack das bestimmende Element: die Bonbons, von denen ich dir schon geschrieben habe, die

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