Töchter des Schweigens
ins Wort.
»Wir wurden von Mati erpresst.«
»Und das andere? Oder hast du etwa vergessen, warum Mati sterben musste?«
»Das andere?« Sole ist kreidebleich geworden, und ihre Lippen zittern.
»Mädels!«, rief Mateo von der Tür. »Die Paella!«
Ein Blick von Teresa ließ sie verstummen und mehr oder weniger erfolgreich so tun, als hätten sie sich über nichts Wichtiges unterhalten. Zum Glück wusste Mateo, dass sie von einer Beerdigung kamen, und fand es darum nicht ungewöhnlich, dass einige seiner Gäste feuchte Augen hatten und eine sich geräuschvoll schnäuzte.
»Haut rein! Lasst es euch schmecken«, sagte er aufmunternd. »Mit vollem Magen sieht die Welt gleich viel besser aus! So ist das Leben, Mädels. Jeder von uns ist einmal fällig, und dann ist Schluss mit den Paellas!«
David und Gerardo beugten sich über den Tisch und studierten den E-Mail-Verkehr zwischen Lena und Sole, den sie nach Absendedatum geordnet hatten, mit Ausnahme des Schreibens, das Sole bei der Trauerfeier vorgelesen hatte, da dieses als gewöhnliche Textdatei gespeichert und nicht datiert war. Sole hatte David jedoch gesagt, Lena hätte es ihr am Tag nach dem Treffen in der Bar geschickt, bei dem Lena und Rita sich zum ersten Mal nach drei Jahrzehnten wiederbegegnet waren.
Bisher hatten die beiden Polizisten nur Soles Nachrichten aus Havanna gelesen, da Lena offenbar keine Kopien ihrer Sendungen abgelegt hatte, und fragten sich nun, ob Soles Ausdrucke tatsächlich vollständig waren, oder ob Teile der E-Mail-Korrespondenz zwischen den Freundinnen fehlten.
Sie hatten sie in chronologischer Reihenfolge gelesen, nach Hinweisen auf was auch immer gesucht und bis jetzt nichts gefunden.
»Meinst du, sie sind wirklich so unschuldig, wie es aussieht?«, fragte Machado seinen Kollegen.
»Entweder sie sind es wirklich, oder diese Frauen sind sehr viel gewiefter als du und ich, denn, ehrlich gesagt, kann ich beispielsweise in dieser Mail über Bonbons keinerlei verschlüsselte Botschaften entdecken.«
Lena an Sole:
Erinnerst du dich noch an die Sahnebonbons, die wir mit sieben immer gekauft haben? Sie waren ganz klein und in buntes Stanniolpapier eingewickelt, blau, rot, weiß, grün, man bekam zehn für eine Pesete, und die reichten fast für den ganzen Nachmittagsunterricht von vier bis sechs. Manchmal hoben wir uns einen auf, um ihn auf dem Weg von der Schule zur Katechismusstunde auszupacken. Der Mund füllte sich mit diesem süßen, weißen Geschmack, und wir hüpften in unseren Schuhen der Marke Gorila von Platte zu Platte, wobei wir nicht auf Risse oder Fugen treten durften, weil das Unglück brachte. Auf Englisch gibt es kurioserweise das gleiche Spiel; die Kinder sagen: Step on a crack, break your mother’s back.
»Und guck dir die Antwort an … Das klingt, als hätten die zwei nicht mehr alle Tassen im Schrank …«, versetzte Gerardo und fuhr sich mit der Hand über die Glatze.
Sole an Lena:
Weißt du noch, als du zum ersten Mal einen Lolli gesehen hast? Wie später die Chupa-Chups , aber flach und in knalligen Farben, die sich herrlich über die Zunge verteilten und sie bunt färbten. Eine Pesete. Eine Pesete haben die gekostet. »Und hast du tausend Peseten im Sack, kauf dir tausendmal Lolligeschmack.«
»Ja, als hätten sie nicht alle Tassen im Schrank oder würden codierte Botschaften austauschen. Nur dass wir den Code nicht kennen.«
»Aber hier, sieh dir die beiden folgenden Schreiben an, darin ist die Rede von etwas, dem wir sehr wohl nachgehen könnten«, sagte Machado. »Lies sie dir noch einmal durch.«
Lena an Sole:
Als sie einmal in Madrid gewesen war, brachte mir meine Großmutter ein Körbchen mit Veilchenbonbons mit. So was Schönes hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Bonbons in Form von Veilchenblüten, veilchenfarben und mit Veilchengeschmack. Oder zumindest einem Geschmack, der dem Duft der Veilchen, die im Februar um Margas Landhaus blühten, sehr nahekam. Manchmal zogen wir zusammen los, um unsere Mütter mit einem Sträußchen zu überraschen.
Die Veilchen säumten die Wasserläufe und bildeten eine dunkelgrüne Borte, aus der die Blütchen ragten – winzig klein, exquisit –, und wir pflückten sie und hielten sie in der linken Hand zwischen Zeigefinger und Daumen fest, bis uns nach einer Weile die Finger wehtaten vom Zusammenpressen. Dann schnitten wir einige Blätter und arrangierten sie rund um das Sträußchen, um ein »Bukett« herzustellen, wie Solita vom
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