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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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kein Mensch mehr.«
    »Willst du nicht mehr, dass wir zusammen wegfahren? Vor einer Woche hast du es selbst vorgeschlagen, weißt du noch?«
    »Natürlich weiß ich das. Noch bin ich nicht senil. Gib mir eine Zigarette.«
    Rita greift hinüber zum Nachttisch, zündet eine Zigarette an und reicht sie ihr.
    »Und was ist mit Ingrid?«, fragt Candela zwischen zwei Zügen, ohne sie anzusehen.
    »Nichts. Sie ist in Kuba. Außerdem habe ich dir schon tausendmal gesagt, wir sind nur befreundet, arbeiten zusammen, teilen die Wohnung.«
    »Und was, meinst du, würde sie sagen, wenn sie uns jetzt hier sehen könnte?«
    »Keine Ahnung«, lügt Rita, obwohl sie ganz genau weiß, was Ingrid sagen würde. Sie würde sich verraten fühlen, gekränkt, weil sie einer anderen Person so viel Intimität gewährt. Sie hätte das Gefühl, ihr Platz als beste Freundin, Seelenverwandte, Lebensgefährtin würde von einer Fremden eingenommen.
    »Wärst du imstande, ihr zu sagen, was du mir vor einer Weile gesagt hast?«
    »Was? Dass ich dich liebe? Dass ich mit dir zusammen sein will, auch wenn wir keine Teenager mehr sind und das Leben uns in verschiedene Länder verschlagen hat?«
    »Genau das. Wirst du es ihr sagen?«
    »Ich fürchte, früher oder später wird mir nichts anderes übrig bleiben.« Rita beugt sich über Candela und küsst sie auf den Mund.
    »Und dann? Hast du darüber nachgedacht?«
    »Ganz ehrlich? Nein. Ich habe nicht darüber nachgedacht und im Moment auch keine Lust dazu. Ich kenne einen Haufen Leute, die in verschiedenen Städten leben und trotzdem eine gute Beziehung haben. Manchmal komme ich her, und manchmal kommst du nach London. Das Haus ist groß, die Kinder sind super, mit der Zeit wirst du so eine Art Tante für sie sein, und die Stadt … nun, die kennst du ja schon, aber ich werde dir eine Menge Orte zeigen, die einen Besuch wert sind. Es wird dir bestimmt gefallen. Und ab und zu verreisen wir, nur wir beide. Wir haben über dreißig Jahre nachzuholen.«
    »Ich mache mir immer noch Sorgen, was Ingrid angeht, Marga.«
    Rita löscht die Zigarette und streckt sich neben Candela aus. Seit dreißig Jahren nennt sie niemand mehr Marga. Fast erkennt sie sich nicht in diesem Namen, doch wenn Candela ihn ausspricht, ist es wie eine Rückkehr nach Hause, in ihre Kindheit, in eine wundervolle Zeit ihres Lebens ohne Schuld und ohne Angst, eine Zeit, in der sie nach vorn geblickt hat und weit, sehr weit voraus. Wenn Candela »Marga« sagt, ist sie wieder Marga, nicht Rita Montero, die Filmregisseurin, die Meisterin der Spannung. Nur Marga.
    Sie schiebt Candela den Arm unter die Schultern und lässt sie den Kopf in ihre Halsbeuge betten.
    »Hör auf, dir Sorgen zu machen. Vermutlich wird es am Anfang ungewohnt für sie sein, aber Ingrid liebt mich wirklich. Ich bin sicher, sie wird sich freuen, mich glücklich zu sehen. Sie ist offener, als es den Anschein hat, du wirst schon sehen.«
    »Aber nicht so offen, dass du ihr jemals erzählt hättest, was auf Mallorca passiert ist.«
    »Kein Mensch ist offen genug für so etwas, Candela.«
    »Aber fürchtest du nicht, du könntest sie verlieren, wenn sie es erfährt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich hoffe nicht. Ich denke, sie wird es letztlich verstehen. Das Problem ist vor allem, dass ich mich nie imstande gefühlt habe, es so zu erklären, dass man es versteht. Man muss es erlebt haben. Nur wir beide können eine Vorstellung davon haben, was es war. Die Mänaden, wie Tere sagte. Weißt du noch?«
    »Vereint im Verbrechen«, sagt Candela, den Blick an die abblätternde Zimmerdecke gerichtet.
    »Sisters in crime«, übersetzt Rita, und dabei entwischt ihr ein unfreiwilliges Kichern. »Gehen wir etwas essen?«
    »Duschen wir und gehen dann etwas essen?«, korrigiert Candela sie. Sie liegen beide auf einen Ellbogen gestützt und sehen sich an.
    »Du bist ja wie Sole! Weißt du noch, wie oft die geduscht hat?« Als ihnen wieder einfällt, wie oft sie über diese Marotte ihrer Freundin gelacht haben, prusten sie laut los. »Sobald du Tante Doras Badezimmer siehst, wirst du einiges verstehen. Aber wenn du darauf bestehst, und da wir ja zu zweit sind, kann ich dich mit der Handbrause abduschen und anschließend du mich.«
    »Klingt interessant.«
    Sie springen aus dem Bett, hinterlassen auf dem Weg zum Bad die Abdrücke bloßer Füße im Staub des Korridors und gickeln wie junge Mädchen.

1974
    Reme, die zwei Stunden mit Olaf in der Diskothek getanzt hat, ist um Mitternacht gegangen,

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