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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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Geburtstag«, sagt Candela. »Auf unsere Zukunft, Marga.«
    »Glaubst du, es wird uns gut gehen, Candela? Dass wir glücklich werden?«
    »Du und ich schon.«
    »Die anderen nicht?«
    »Tja, wer weiß? Offen gesagt, ist mir das ziemlich egal.«
    »Du bist aber hart.«
    »Ich bin ehrlich. Die Einzige, die mir etwas bedeutet, bist du, das weißt du doch.«
    Candela stellt das Glas auf die Bank, legt ihr die Hände auf die Schultern und zwingt sie, ihr ins Gesicht zu sehen.
    »Das weißt du, nicht wahr?«
    Marga nickt, vor allem, weil ihr das erlaubt, den Kopf zu senken und Candelas Blick zu entgehen, der sie innerlich verbrennt, der ihr Dinge zuflüstert, die sie nicht wissen will. Sie erinnert sich an jenen Moment nach dem Sportunterricht vor knapp zwei Wochen. Sie waren noch eine Weile allein im Hof geblieben, weil Candela ihr ein paar Tricks beim Volleyball zeigen wollte, um die biestige Sportlehrerin Dolores, die Marga auf dem Kieker hat, versöhnlich zu stimmen, und als sie hinterher im Umkleideraum waren, hat Candela sie geküsst. Oder sie haben einander geküsst. Das weiß sie nicht mehr so genau und will es auch gar nicht wissen.
    Sie fürchtet, Candela könnte es jetzt wieder tun, hier auf dieser Bank, auf ihrer Party, aber Candela streichelt ihr nur die Wange, so sanft und zärtlich, dass sie fast weinen muss. Dann greift Candela nach ihrer Hand, sieht ihr in die Augen und drückt ihr einen Kuss in die Handfläche. Und da nähert Marga, ohne nachzudenken, ihre Lippen denen ihrer Freundin und küsst sie von sich aus, einfach so, weil sie tief in ihrem Inneren weiß, dass es richtig ist, dass es so sein muss.
    Plötzlich ertönt eine Stimme aus den Schatten beim Mandelbaum, eine laute weibliche Stimme, die sie beide erschaudern lässt, weil sie ihnen nur allzu vertraut ist.
    »Alles Gute zum Geburtstag, Turteltäubchen!«
    Candela springt wütend auf.
    »Was hast du hier zu suchen?«
    »Ich habe gedacht, Marga hat wohl vergessen, mich einzuladen, aber ich will nicht nachtragend sein, also bin ich trotzdem gekommen.«
    »Und wirst sofort wieder verschwinden.« Candelas Augen sprühen Funken.
    »Das muss sie mir schon selbst sagen. Es ist doch ihre Party, oder nicht?«
    Marga versucht, Candela zurückzuhalten, die sich auf den ungebetenen Gast stürzen will.
    »Hör auf, lass sie. Gehen wir tanzen.«
    In diesem Augenblick erscheint Tony, in der Hand eine Flasche Bier.
    »Hallo, Mädels. Was treibt ihr hier im Dunkeln? Liebeskummer? Und wer ist das?«, fragt er erstaunt, denn sie waren die Gästeliste zigmal durchgegangen, und er weiß genau, wer kommen sollte.
    »Das ist Mati«, sagt Marga mit heiserer Stimme. »Eine Klassenkameradin. Sie ist hier, weil …«
    »Weil ich sie überraschen wollte«, beendet Mati ihren Satz. »Und das ist mir gelungen, was?«

28. Mai 2007
    »Sieh mal, Ingrid«, sagte Rita und blieb an einer Straßenecke stehen. »Das ist die alte Nonnenschule. Hier bin ich zur Klavierstunde gegangen, dreimal pro Woche um sechs, immer mit der Angst, nicht genug geübt zu haben, beim Rondo mit dem Fingersatz durcheinanderzugeraten und es nur holpernd zu Ende zu bringen, um mich dann mit dem Schnurrbart von Schwester Armonía konfrontiert zu sehen. Sie hatte einen Schnurrbart, im Ernst, allerdings hast du den nur bemerkt, wenn du schlecht gespielt hast. Wenn sie lächelte, ist er nicht aufgefallen.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du Klavierunterricht hattest.« Ingrid ließ den Blick gleichmütig über das inzwischen verfallene Gebäude schweifen, aus dessen vergitterten Fensterhöhlen trockenes Gestrüpp wuchs.
    »Ich kann mich kaum noch erinnern. Aber was ich nie vergessen werde, ist die Kälte in dem düsteren Raum, eine Kälte, die dir von den Fingerspitzen aufwärtskroch bis zum Ellbogen, bis du dir vorkamst wie die Puppe von Doktor Coppelius, wenn du allein im Halbdunkel mit dem Rücken zur Tür Bach-Variationen spieltest, umgeben von einer Stille, die dir das Gefühl gab, das einzige Lebewesen im Kloster zu sein, und dich in eine Art Trance versetzte, aus der dich dann mit einem Mal ein Schrei aus dem Nachbarzimmer riss, wo Schwester Armonía den Kleinen die Tonarten beibrachte: ›H!‹, ›Fis!‹, und fieberhaft suchten deine Augen in der Partitur nach deinem Fehler, während du hofftest, sie würde nicht hereinkommen und dir sagen, so könntest du es nie zu etwas bringen, du müsstest mehr üben, ob dir nicht klar wäre, wie viel Geld deine Eltern für deine Erziehung aufwendeten … Mit

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