Töchter des Schweigens
wie ihre Mutter sie sieht: eine schön zurechtgemachte junge Frau in einem knallbunten Overall, mit ein wenig Make-up auf Lidern und Lippen und frisch gewaschenem Haar. Es stimmt, sie ist hübsch. Doch obwohl sie stolz ist auf ihr Aussehen und Mamas Lob, empfindet sie tief im Inneren auch Traurigkeit, denn eigentlich hat die Reaktion ihrer Mutter ja nichts mit ihr selbst zu tun, sondern nur mit ihrer äußeren Schale, als hätte Mama lieber ein niedliches Püppchen anstelle einer mutigen und engagierten Tochter, Chefredakteurin der Schülerzeitung und Regisseurin des Theaterstücks, das sie Anfang Mai mit großem Erfolg aufgeführt hatten und damit ihrem Traum von der Fahrt nach Mallorca ein Stückchen näher gekommen waren.
Flüchtig denkt sie an César und fragt sich, was er wohl davon halten wird, sie als erwachsene Frau verkleidet zu sehen. Ihm macht es Spaß, sich zu verkleiden, aber davon abgesehen, sind sie in vielerlei Beziehung beinahe Seelenverwandte. Seit sie mit Manolo zusammen ist, sehen sie sich nicht mehr so oft, doch ist César immer noch ihr bester Freund, und zum Glück arbeiten sie gemeinsam an der Zeitung, den Festivals und allem, was im weitesten Sinne mit künstlerischen Aktivitäten zu tun hat, denen Manolo nichts abgewinnen kann.
Als Marga und ihre Mutter in den Garten kommen, trinkt Manolo – der in seinem hellen Jackett und dem blauen Hemd blendend aussieht – mit ihrem Vater und ihrem Bruder ein Bier und stößt bei ihrem Anblick einen langen Pfiff aus.
»Ein Glück, dass du meine Braut bist, Marga. Sonst würde ich sterben vor Neid«, sagt er aufrichtig.
Es stinkt ihr, dass Manolo sie als seine »Braut« bezeichnet, sie findet es altmodisch und blöd, aber da es ihren Eltern zu gefallen scheint, erhebt sie keinen Einspruch, wenn sie dabei sind. Wenn nicht, neckt Manolo sie gern: »Wie soll ich dich denn bitte sonst nennen? Meine Partnerin? So einer bin ich nicht. Du bist nun mal meine Braut, auch wenn dir das Wort nicht gefällt.« Sie würde nie von ihrem »Bräutigam« reden, schließlich hat jeder einen Namen. Wenn sie ihn also vorstellen muss, sagt sie »Manolo«, weil »fester Freund« noch dämlicher klingt, und »Partner« …, tja, darin hat Manolo recht, ihr Partner könnte er niemals sein.
»Du hast dich gut gehalten für deine achtzig Jahre«, witzelt ihr Vater. »Oder waren es achtzehn?«
»Eins muss man dir lassen, wenn du dir Mühe gibst, machst du richtig was her«, bemerkt Tony. Wenn sie allein sind, ist er lieb und verständnisvoll, ganz der große Bruder, aber sobald andere dabei sind, muss er sie ständig aufziehen, damit bloß keiner denkt, er stehe unter ihrer Fuchtel.
»Das ist, wie wenn du dein Auto wäschst«, sagt sie schulterzuckend. »Das Modell und die Karosserie sind dieselben, aber es sieht auf jeden Fall besser aus.«
Beide lachen, und in diesem Moment treffen die ersten Freundinnen ein. Man hört sie schwatzen, bevor man sie sieht, und an der Tonlage des Gelächters erkennt man ohne Zweifel Carmen, Sole, Ana und Tere. Vermutlich hat Soles Vater sie hergefahren, weil der immer wissen will, wo sich seine Tochter aufhält, und weil er sich gerade einen neuen Dodge gekauft hat, den er überall herumzeigen muss. Candela hat schon den Führerschein; wahrscheinlich kommt sie mit dem Wagen ihrer Mutter und holt Magda ab, die den weitesten Weg hat.
Marga eilt ins Haus und erscheint sofort wieder mit ihrer Kamera. Sie hat sich immer eine Nikon mit automatischem Filmtransport gewünscht, um viele Fotos rasch hintereinander schießen zu können, doch weil die zu teuer ist, muss sie sich mit einer Kodak begnügen, die aber wenigstens manuell ist, nicht wie diese doofen vollautomatischen Kameras mit drei Standardeinstellungen, bei denen immer zu dunkle, überbelichtete oder unscharfe Bilder herauskommen.
Beim Anblick ihrer Freundinnen muss sie schmunzeln. Sie hat gut daran getan, Farbfilme zu besorgen. Die Mädchen sehen aus wie ein Regenbogen. Carmen in ihrer Lieblingsfarbe Rot; Ana in Blau; Sole natürlich in Weiß – die Braut bei der Hochzeit, der Säugling bei der Taufe, die Leiche beim Begräbnis –; und Tere in Beige mit orangefarbenen Akzenten. Magda wird bestimmt in einem indischen Modell aus London erscheinen, malvenfarben oder lila, und Candela in Gelb oder Schwarzweiß.
Marga knipst und knipst, während sie sie durch den Sucher auf sich zukommen sieht. Dann dreht sie sich um und fotografiert ihren Vater, ihren Bruder und Manolo, wie sie den
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