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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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behandelte sie Ingrid wie eine Schwiegertochter, sie liebte sie wirklich und verbrachte mehr Zeit mit ihr als mit mir.«
    »Und sie? Hat sie auch keine Liebhaber?«
    »Wer? Ingrid?«
    Carmen nickte.
    »Gelegentlich. Einmal sah es sogar ganz danach aus, als wollte sie zu diesem Taugenichts Guillermo zurückkehren, aber ich konnte es ihr ausreden. Wir sind ein gutes Team; wir arbeiten zusammen, haben die beiden Kinder, bewohnen ein großes Haus und lieben uns von Herzen. Für dich mag es schwierig sein, dir eine solche Familie vorzustellen, aber für uns ist es normaler Alltag.«
    »Und wie nennen dich die Kinder?«
    » Aunt-mum . Tante-Mama. Oder mittlerweile auch Rita, seit sie größer sind. Na? Hast du mich jetzt genug ausgehorcht?«
    Carmen zuckte leicht mit den Schultern, lächelte ihr artigstes Kleinmädchenlächeln, als bäte sie um Verzeihung, ohne jedoch zu bereuen. Aus dem Lautsprecher klang Do you think I’m sexy von Rod Stewart.
    »Dieses Lied fand ich immer toll«, sagte Rita, den Blick träumerisch zur schwarzen Decke des Lokals gerichtet. »Wie oft habe ich dazu getanzt! Du nicht?«
    »Als das in Mode war, war meine Diskozeit schon vorbei. Ich war mit Manolo verheiratet, wir hatten ein kleines Kind und niemanden, der uns geholfen hätte, denn jetzt sollten wir die Konsequenzen für unser Handeln tragen. Abgesehen davon, konnte mich Manolos Familie nie leiden, außer der Großmutter; vermutlich, um die anderen zu ärgern. Ich war nie gut genug für ihren Jungen.«
    »Wie kamst du bloß auf die Idee, dich mit Manolo einzulassen?«
    Für einen Moment hatte Rita den Eindruck, Carmen würde ihr darauf keine Antwort geben, weil sie die Frage unverschämt fand, aber dann überlegte sie es sich, zuckte wieder mit den Schultern und gab fast trotzig zurück: »Weil er am Boden zerstört war, als du ihn nach der Mallorca-Reise verlassen hast, und weil er mir schon immer gefallen hat. Natürlich hätte ich nie gedacht, dass es so weit kommen würde. Außerdem habe ich dann sehr schnell gemerkt, dass er ein echtes Arschloch ist, genau wie der Rest der Familie. Aber da war es schon passiert. Später ließen wir uns scheiden, ich heiratete Julio, wir bekamen eine Tochter, er verließ mich wegen einer anderen – seiner Sekretärin, stell dir nur vor, wie originell –, ich ließ mich wieder scheiden, habe die Kleine, das Auto und das Haus behalten und einen Deko-Laden aufgemacht, der sehr gut läuft. Ein paar Jahre darauf lernte ich David kennen und verliebte mich in ihn wie eine Irre. Wir hatten ein paar wunderschöne Monate, dann stellte ich ihm Ana vor, er begann eine Affäre mit ihr, und jetzt sind sie seit zehn Jahren verheiratet und haben einen Sohn. Tja. Mein Leben in fünf Minuten. Chema, mach uns noch zwei!«
    »Gar nicht schlecht, Carmen. Zumindest war dir nicht langweilig.«
    Carmen brach in schallendes Gelächter aus, wie damals im Gymnasium. Nach und nach beruhigte sie sich wieder, griff nach ihrem zweiten Daiquiri und saugte heftig am Strohhalm.
    »Du bist immer noch in David verliebt, wenn ich das richtig sehe.«
    »Ich hab dir ja gesagt, wie eine Irre. Aber ich weiß natürlich, dass da nichts zu machen ist, also begnüge ich mich mit Felipe und versuche, mein Leben zu genießen, bevor ich zu alt dafür bin. Auf dich.«
    »Auf uns.« Sie stießen an, tranken und blieben einen Moment lang stumm.
    »Ich war dir immer dankbar, dass du mir Mati vom Hals geschafft hast, weißt du? Ich glaube, das habe ich dir nie gesagt.« Carmens eigentümlicher Gesichtsausdruck wollte zu ihren Worten nicht recht passen.
    »Ich habe dir Mati vom Hals geschafft? Wann denn?«
    »Anscheinend wirst du tatsächlich senil. Vor deiner Geburtstagsparty, vor der Mallorca-Reise, erinnerst du dich nicht mehr?«
    »An Mati schon.«
    »Sie war ein Dreckstück, das hast du doch sicher nicht vergessen. Sie hatte mich beim Stadtfest in einem cuartelillo beim Knutschen erwischt und gedroht, es meinem Vater zu sagen, damit er mich nicht nach Mallorca fahren ließ. Das habe ich dir erzählt, und daraufhin hast du mit meinen Eltern gesprochen und ihnen erklärt, eine aus unserer Klasse, die mich nicht leiden könne, wolle meiner Familie Lügen auftischen, damit ich für etwas bestraft würde, was ich gar nicht getan hätte. Und sie haben dir geglaubt. Dir haben immer alle geglaubt. Du warst so besonnen, so brav …, eine so vorbildliche Tochter. Du hast mir das Leben gerettet.« Mit einer Hand, die von dem Daiquiri-Glas eiskalt war, fasste

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