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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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vor, er würde diese Soutane ausziehen, die er für heute anlegen musste, endgültig diesen Saal verlassen, nach Paris gehen und Psychologie studieren. Doch er weiß, er wird es nicht tun, er wird das Schuljahr zu Ende bringen und alles auskosten, was es noch bringen mag, denn voraussichtlich ist es sein letztes, weil man ihm nicht mehr gestatten wird, an einem Gymnasium zu unterrichten. Und dann, wenn das Versetzungsschreiben eintrifft, wird er den Atlas hervorholen, nachsehen, wo sich sein neuer Bestimmungsort befindet, und ziehen, wohin auch immer man ihn schickt, um Betschwestern die Beichte abzunehmen, greisen Bauern die Letzte Ölung zu erteilen und an den Festtafeln zu Hochzeiten, Taufen und Erstkommunionen das Präsidium zu übernehmen, wobei er seine Soutane tragen wird, um keinen Unmut zu erregen. Und später, gegen Abend, wird er einen Spaziergang durchs Dorf machen, diesen und jenen begrüßen, »Guten Abend, Atilio«, »Guten Abend, Pater, Gott mit Ihnen!«, bis er heim ins Pfarrhaus gehen wird, wo eine brave Frau ihm das Essen bereitgestellt hat, das er allein vor dem Fernseher einnehmen wird, falls er einen hat, oder bei der Lektüre einer zwei Monate alten Zeitschrift. Allein. Immer allein. Für den Rest seines Lebens.

2007
    Ana brachte ein Tablett mit zwei Gläsern Bier und ein paar Erdnüssen zum Gartentischchen, an dem David, der gerade von der Arbeit gekommen war, es sich bereits bequem gemacht hatte. Es war fast schon ein Ritual, das sie sich angewöhnt hatten, seit sie in diesem Haus wohnten, und das ihnen beiden unentbehrlich geworden war, um nach den Ereignissen des Tages abzuschalten: Sie plauderten eine Weile, erzählten einander die kleinen Dinge ihrer täglichen Arbeit, tranken langsam ihr Bier, schauten auf das glitzernde Wasser des Schwimmbeckens, und nach und nach fielen Ärger und Verdruss von ihnen ab, bis sie nur noch still lächelten, glücklich, zusammen zu sein, ein schönes Haus und einen wundervollen Sohn zu haben, der ihnen keine Probleme bereitete, und einen Beruf, der ihnen trotz allem genug Freude machte, um sich keinen anderen zu wünschen.
    David war heute besonders angespannt. Ana sah es an seinen steifen Schultern und seinem Blick, der sich in den Baumkronen des gegenüberliegenden Gartens verlor. Auch ihr ging es seit der Party nicht so gut, aber sie wollte es sich nicht anmerken lassen. Also servierte sie ihm das eiskalte Bier und streichelte ihm übers Haar.
    »Na? Einen schlechten Tag gehabt?«
    David zuckte mit den Schultern.
    »Wir sind kein Stück weitergekommen. In der Sache mit Lena, meine ich. Selbstmord war es nicht, so viel steht fest. Und die wenigen Spuren, die wir haben …« Mit einem Mal verstummte er.
    »Was ist? Besinnst du dich nach all den Jahren plötzlich darauf, dass das, was im Kommissariat geschieht, vertraulich ist, sogar deiner Frau gegenüber?«
    Wieder zuckte er mit den Schultern und nahm einen langen Schluck.
    »Immerhin warst du eine Freundin des Opfers und kennst alle, die als Verdächtige infrage kommen.«
    »Verdächtige? Aber sie haben doch alle ein Alibi … Sag schon, was für Spuren habt ihr? Du hast immer behauptet, mit mir zu reden hilft dir beim Denken.«
    David stand auf und trat nachdenklich an den Rand des Schwimmbeckens. Ana wartete schweigend, und eine Minute später platzte es aus ihm heraus: »Es ergibt einfach keinen Sinn! Wir haben eine Zigarettenkippe im Mülleimer gefunden, der ansonsten vollkommen sauber war.«
    »Lena hat nicht mehr geraucht.«
    »Ich weiß. Es ist eine Rothmans. Keine sehr gängige Marke. Und weißt du, wer diese Marke raucht?« Er machte eine Pause von kaum einer halben Sekunde und beantwortete seine Frage selbst, bevor seine Frau es tat. »Rita Montero.«
    »Und ein paar Millionen andere, vermutlich. Soweit ich weiß, wird sie in jedem Tabakladen verkauft, oder nicht?«
    »Siehst du? Schon fängst du an, deine Freundin zu verteidigen.«
    »Ich verteidige sie nicht, ich benutze nur mein Hirn. Glaubst du etwa, Rita würde einen Zigarettenstummel in einen sauberen Abfalleimer werfen, nachdem sie Lena ermordet hat? Rita ist einer der intelligentesten Menschen, die mir je begegnet sind.«
    »Das weiß ich doch selbst, zum Teufel! Man muss total bescheuert sein, um so etwas zu tun. Und die Klinge mitzunehmen, wenn es nach Selbstmord aussehen soll. Und den Gazpacho nicht wegzuschütten, den Lena zubereitet hatte. Verstehst du jetzt, warum ich sage, die Sache hat weder Hand noch Fuß?«
    Ana zog

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