Töchter des Schweigens
Nieves, Zimmer 29. Und du, Mati, kannst dir aussuchen, ob du das Zimmer mit zwei anderen teilen oder ein Einzelzimmer haben willst.«
Mati scheint sich nicht zu wundern, dass sie auf den Zetteln, die ihre Klassenkameradinnen Doña Marisa gegeben haben, von keiner als bevorzugte Zimmergenossin genannt wird. Nach ihrem Lächeln zu urteilen, ist sie darüber fast froh.
»Dann möchte ich lieber in ein Dreierzimmer mit Candela und Marga.«
»Kommt überhaupt nicht infrage!« Candelas Ton ist so entschieden, dass selbst Doña Marisa zusammenzuckt. »Wenn du in ein Dreierzimmer willst, geh zu Julia und Nieves, die sind aus deinem Dorf.«
»Falls das hilft«, mischt sich Reme ein, »würde es mir nichts ausmachen, allein zu sein.«
»Dann könnte Mati ja zu Sole ins Zimmer«, sagt Doña Marisa versöhnlich.
Alle wissen, dass Sole es nicht wagen wird, Nein zu sagen. Sole ist es gewohnt, dass man alles für sie regelt, ohne dass sie einen Finger krümmen muss, dennoch tut sie ihnen leid, weil sie ihr Zimmer ausgerechnet mit Mati teilen soll.
»Komm du doch zu uns«, sagt Tere, nachdem sie einen Blick mit Ana gewechselt hat. Sole strahlt sie an und nickt hocherfreut.
»Dann bleiben also noch Mati und Reme, gut so?«
»Könnten wir nicht zwei Einzelzimmer bekommen«, fragt Reme und setzt ihre treuherzigste Miene auf. »Ich schnarche.«
»Ich dachte, zu zweit hättet ihr mehr Spaß, aber meinetwegen … Wenn wir für Tere, Ana und Sole ein Dreibettzimmer nehmen, wird es vermutlich kein Problem sein, zwei Einzelzimmer zu bekommen. Verstehen kann ich das nicht, ehrlich gesagt.«
Reme schaut zu Boden, als sei es ihr peinlich, das mit ihrem Schnarchen gestanden zu haben. Mati lächelt noch immer so eigenartig, dass sich sogar Doña Marisa irritiert fühlt und ahnt, warum keine sie in ihrer Nähe haben will.
»Na gut, dann bleibt es dabei, notfalls können wir ja nach der ersten Nacht noch mal tauschen. Also los! Geht jetzt auf eure Zimmer, und um neun treffen wir uns im Speisesaal. Heute verlassen wir das Hotel nicht mehr. Außerdem haben wir Halbpension gebucht, das sollten wir nutzen.«
»Sind wir alle auf derselben Etage?«, fragt Carmen.
»Es sind Bungalows im Garten. In jedem Bungalow gibt es vier Zimmer, zwei unten, zwei oben. Wenn ihr tauschen wollt, einigt euch untereinander. Mir reicht’s jetzt«, stöhnt Doña Marisa.
Don Javier hat sich aus der Diskussion herausgehalten und sieht jetzt mit Erleichterung, wie die Mädchen zu ihren Koffern greifen und durch den Garten davongehen.
»Was für ein zickiges Alter!«, stellt er fest. »Ich habe mein ganzes Leben in Internaten und Seminaren verbracht, in Schlafsälen mit zwanzig Betten, und da war nichts dabei.«
»Da hast du aber Glück gehabt, Javi.«
»Glück?«
»Dass dir nichts passiert ist«, versetzt Doña Marisa augenzwinkernd. Er bekommt einen roten Kopf.
»Nur nicht so kess, Kollegin!«
»Ich war schließlich auch im Internat, in einer Nonnenschule, und wenn ich dir erzählen wollte, was da alles passiert ist, mein Junge … Na komm, machen wir uns ein bisschen frisch. Ich muss mich ja nicht groß aufbrezeln, und wenn du willst, lade ich dich zu einem Bier ein, bevor die Mänaden aufkreuzen und wir wieder ernst sein müssen.«
»Die Mänaden?«
»Das ist der Text, den Telmo sie für die Griechischprüfung hat übersetzen lassen, soviel ich gehört habe. Der kennt wirklich keine Gnade!«
»Die Mänaden, waren das nicht diese Priesterinnen in der Antike, die bei ihren Opferritualen Menschen zerstückelt haben?«
»Ja. Mänaden, Bacchantinnen, etwas in der Art. Und zum Schluss haben sie sie aufgegessen«, setzt sie lächelnd hinzu. »Deshalb sage ich ja, der Kerl ist gnadenlos. Aber Telmo hatte schon immer ein Faible für das Pikante in den Klassikern. Letztes Jahr hat er sie Lysistrate übersetzen lassen, stell dir mal vor, all diese Kraftausdrücke und Obszönitäten, und dann mussten sie ihre Übersetzung auch noch laut vorlesen. Die Mädchen haben schwer gelitten, aber da er nun mal der Direktor ist und Aristophanes ein Klassiker…«
Auf der Suche nach ihrem Bungalow schlendern sie durch den Garten, schauen sich überall um und sind genauso begeistert wie ihre Schülerinnen, nur maßvoller.
»Eine sehr gute Wahl, Marisa! Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben an einem so eleganten Ort.«
Ihr ist nicht entgangen, dass Javier das Thema langsam lästig wird und er versucht, die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken, aber da sie nun
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