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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: barcelo
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passierte nicht dir allein, sondern deiner gesamten Sippe, und in der Generation davor musste die Mutter des Mädchens noch Halbtrauer tragen und durfte die Augen nicht vom Boden heben, wenn sie unter dem Getuschel der anderen Frauen auf dem Markt einkaufen ging. Damit ist es glücklicherweise vorbei. Auch wenn es nicht den Anschein hat, weil unsere Generation nicht einmal die Hälfte ihrer Ideale verwirklicht hat, dieser Flower-Power-Bewegung, die mein größtes Glück und mein größtes Unglück war; auch wenn es nicht den Anschein hat, so haben wir doch eine Revolution in Gang gesetzt; sieh dir nur an, wie sich die Welt verändert hat: Niemand zerreißt sich mehr das Maul, wenn man ein uneheliches Kind hat oder mehrere Kinder von verschiedenen Vätern oder zusammenlebt, mit wem man will, oder sich als homosexuell outet. Das ist viel wert, Sole, immens viel wert, und darüber ist sich kaum jemand im Klaren, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Und das ist es natürlich auch. Aber wenn es heute selbstverständlich geworden ist, dann, weil unsere Generation dafür gekämpft hat, wir haben gekämpft wie die Löwen, um zu erreichen, dass sich die Gesetze, die Sprache, die Mentalität der Leute nach und nach veränderten. Und jetzt stellt sich heraus, dass es immer noch Leute gibt, die nach ›Zucht und Ordnung‹ schreien, so hieß das früher, weißt du noch? Die sich nach dieser grauen und autoritären Vergangenheit zurücksehnen und sich wünschen, die Regierung würde wieder anfangen, alles zu verbieten, auf dass die alten Männer im Vatikan entscheiden, was wir mit unserem Körper und mit unserer Seele zu tun haben. Wie ist es möglich, dass es sogar junge Leute gibt, die es gutheißen, wenn man ihnen bestimmte Dinge »zu ihrem Besten« verbietet, ihre Freiheit beschneidet, ihr Verhalten, ihre Worte, ihre Gedanken, ihre Entscheidungen zensiert? Daran merkt man, dass sie die Franco-Zeit nicht miterlebt haben, dass sie keine Prüfung in Fächern wie ›Nationalbewusstsein‹ ablegen und Aufsätze zu Themen wie ›Spanien, Schicksalseinheit im Universalen‹ oder ›Spanien, die spirituelle Reserve des Westens‹ schreiben mussten. Wer seine Freiheit und seine individuelle Entscheidungskraft aufgibt, gibt alles auf, Sole, das weißt du, die du in Kuba lebst, nur zu gut. Das einzig Menschliche, was bleibt, wenn man sich einem Rechts- oder Linksextremismus verschrieben hat, ist der Überlebenswille, so viele Knüppel auch auf einen niedergehen mögen. Und das genügt nicht.
    Aber du hast mich gebeten, dir von den Mädels zu berichten, und ich schreibe von was auch immer mir durch den Kopf geht. Entschuldige. Ich genieße es so sehr, dir diese Zeilen zu schreiben, dass ich nicht einmal merke, ob ich dich nicht vielleicht langweile, denn eigentlich willst du ja konkrete Dinge wissen. Also weiter.
    Candela. Die große Dame unserer Clique. Erinnerst du dich, dass Candela immer eine Dame war, schon mit fünfzehn, als wir uns kennenlernten? Wir haben ihr deshalb nicht recht getraut; diese Selbstsicherheit, diese hochmütige Haltung, diese unglaublichen grauen Augen, die dich zu durchbohren schienen, dieser kalte, elegante Zynismus, der selbst den Lehrern die Sprache verschlug. Es dauerte, bis wir entdeckten, dass Candela unter ihrem polierten Stahlpanzer eine leidenschaftliche Frau war, fast explosiv, eine liebevolle Freundin, verlässlich wie kaum eine andere, ehrlich bis zur Brutalität, die einzige Frau unter uns, denn wir, auch wenn wir uns für etwas anderes hielten, waren nichts weiter als unreife junge Dinger.
    Sie ist noch genauso, obwohl ihr Panzer mit der Zeit noch härter geworden ist und sie uns das, was darunter ist, nur sehr sporadisch sehen lässt. Sie ist eine exzellente Rechtsanwältin und verdient mehr Geld, als sie in hundert Jahren ausgeben kann, aber sie teilt es auch mit jedem, dem es daran fehlt. Als mein Sohn noch sehr jung war, finanzierte sie ihm mehrere Sommerkurse in den Vereinigten Staaten, was ihm die notwendigen fachlichen Grundlagen verschaffte, um ein Stipendium für das Massachusetts Institute of Technology zu beantragen. ›Ich habe ja sowieso keine Zeit zum Geldausgeben‹, sagte sie zu mir. ›Jeremy kann es besser gebrauchen.‹ Sie bat mich, es niemandem zu erzählen, als schämte sie sich ihrer Großzügigkeit, aber ich finde, es sollte noch jemand wissen, falls einmal behauptet werden sollte, Candela wäre egoistisch.
    Das ist sie nicht, aber sie ist einsam, sehr

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