Töchter des Schweigens
Lachen aus.
»Ich hatte durchaus die eine oder andere Affäre, klar. Nichts Ernstes. Nichts, wofür ich zu Umhang und Maske gegriffen und mich mit dem Schwert in der Hand der Welt zum Kampf gestellt hätte. Wie du vermutlich auch.«
Während des folgenden langen Schweigens versuchten beide abzuwägen, inwieweit sie der anderen vertrauen konnten und ob dies der geeignete Zeitpunkt für eine Aussprache war.
»Ich fühle mich nun einmal nicht lesbisch, Candela«, sagte Rita schließlich.
»Und was war das dann, was wir vor ein paar Tagen bei mir zu Hause gemacht haben? Gymnastikübungen? Wobei es für dich natürlich genau das gewesen sein könnte, und alles andere habe ich dazugedichtet. Das hast du mir, bevor du gegangen bist, ja recht deutlich zu verstehen gegeben.«
»Nein, Candela. Auch für mich war es nicht nur Sex, das schwöre ich dir. Ich habe das seit einer Ewigkeit nicht getan. Es war … ich weiß nicht … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll …, aber Gymnastik war es nicht. Es ist nur … ich habe ja schon versucht, es dir zu erklären …, es macht mir Angst, ich habe mir mein Leben eingerichtet, und der Gedanke, es zu ändern, schreckt mich. Mit dir verliere ich mich und höre auf, ich selbst zu sein. Das ist es, was mich am meisten beunruhigt.«
»Und das in Mallorca …?« Candelas Stimme versagte.
Lawinenartig brachen die Erinnerungen über Rita herein, alte und frische. Sie legte die Hand auf Candelas Schenkel, blickte geradeaus auf die pinienbestandene Landschaft und atmete tief den Duft ein, der durch die offenen Seitenfenster hereinwehte.
»Ich sollte es dir nicht sagen, weil du dann unausstehlich sein wirst«, sagte sie endlich. »Aber das war Liebe, Candela. Meine erste Liebe … und vielleicht die letzte.«
Candelas Tränen tropften vom Rand ihrer Sonnenbrille, doch sie wischte sie nicht ab, sondern beschränkte sich darauf, mit schwimmenden Augen Teresas Wagen zu folgen, wie in Trance.
»Seit über dreißig Jahren sehne ich mich danach, dich das sagen zu hören.« Candela sprach erst wieder, als das andere Auto hundert Meter vor ihnen unter ein paar Pinien anhielt. Sie parkte auch im Schatten und wandte sich Rita zu, ohne die Brille abzunehmen. »Ich weiß schon, dass du dein Leben nicht ändern willst, das hast du mir ja neulich klipp und klar gesagt. Ich bitte dich um nichts Definitives, aber kommst du nachher mit mir nach Hause?«
Sie hätte alles gegeben, Rita jetzt küssen zu dürfen, all der Liebe und der Begierde, die seit 1974 in ihr schwelte, freien Lauf zu lassen, aber sie wusste, dass sie damit das Gegenteil bewirken würde, weil Rita nicht damit zurechtkäme, und nach so vielen Jahren der Heimlichkeit war ihr die Verstellung zur zweiten Natur geworden.
Rita nickte, dankbar für Candelas Selbstdisziplin, und drückte ihr fest die Hand, bevor sie ausstieg und den anderen mit den Bäumchen half.
Es herrscht ein trauriges, wohltuendes, liebevolles Schweigen, während sie die Bäume einpflanzen, Lenas Asche in den Wind streuen, einen Kreis bilden und einander gedankenverloren ansehen, bis Teresa, wie immer Teresa, sagt: »Adiós, Lena. Du wirst immer ein Teil von uns bleiben.« Und nach einer Pause: »Kommt, Mädels. Das Leben geht weiter, und wir müssen etwas essen.« Sie tauscht einen Blick mit Candela, um sich zu vergewissern, dass diese mit Rita die rechtlichen Fragen geklärt hat, und verteilt erneut die Plätze in den beiden Autos. »Jetzt fahren wir jeweils zu dritt, wenn es euch recht ist.«
Doch kaum haben sie alle ihre Plätze eingenommen, scheint keine das Bedürfnis nach Unterhaltung zu verspüren, und so legen sie die zehnminütige Strecke zur Casa Mateo stumm zurück.
Teresa hat einen kleinen Speiseraum reserviert, in dem sie unter sich sein können, obwohl Montag und das Lokal somit ohnehin fast leer ist, und sie lassen sich seufzend nieder.
»Lena kam sonntags gern hierher zum Essen. Vor allem, solange die Kinder noch klein waren«, erzählte Teresa, nachdem sie Mateo mitgeteilt hatte, was sie essen wollten, und an den Tisch zurückgekehrt war. »Ich habe uns eine Kaninchen-Paella bestellt und Schnecken und ein paar Häppchen als Appetitanreger. Und sagt jetzt bloß nicht, ihr hättet keinen Hunger. Wir brauchen einander nichts vorzumachen, das mit Lena hat uns alle erschüttert, wir müssen es nicht beweisen, indem wir fasten.«
Nicht zu fassen, wie pragmatisch Tere sein kann!, denkt Sole, und wie gut es tut, so jemanden in der Gruppe zu haben.
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