Töchter des Schweigens
beobachtet. Sie hat immer gewusst, dass ich Mati getötet habe, und das Geheimnis immer gewahrt. Ich weiß nicht, ob aus Solidarität oder weil sie insgeheim froh war, dass ich damit das Problem aller gelöst hatte, oder aus anderen Gründen. Tatsache ist, dass sie dreiunddreißig Jahre lang geschwiegen hat.
Jedenfalls sprengte es unseren Kreis. Wir wollten uns lange nicht sehen, weil alle dachten, dass eine von uns eine Mörderin war, und obwohl eine Last von uns genommen war, fühlten wir uns nicht mehr wohl miteinander. Jahrelang gingen wir getrennte Wege, bis wir – außer Rita, die sich in London niederließ, und Sole, die einen Diplomaten heiratete – eine nach der anderen zurückkehrten, die alten Freundschaftsbeziehungen wieder aufnahmen und versuchten, das Geschehene zu vergessen.
Und jetzt, nachdem ich ein halbes Leben lang keinerlei Kontakt zu Rita hatte, sind wir uns vor etwas mehr als einem Monat plötzlich wieder begegnet und haben festgestellt, dass unsere Gefühle noch dieselben sind wie damals auf Mallorca und dass wir die Chance haben, von alldem, was uns genommen wurde, ein wenig nachzuholen. Ich wusste, dass mir kaum noch Zeit blieb; Rita nicht.
Als wir vor zwei Wochen in eurem Haus gefeiert haben«, sprach Candela an David gewandt weiter, »und Ritas Assistentin Ingrid uns mit den Dias von der Geburtstagsparty und dem Mallorca-Film überraschte, Margas erstem Film, wurden alle Erinnerungen wieder lebendig, und beim Abschied lud Lena Rita zum Abendessen ein, weil sie ihr erzählen wollte, was sie an jenem Abend auf dem Schiff gesehen hatte.
Am Vortag waren Rita und ich bei mir in Alicante verabredet und verbrachten die Nacht zusammen. Ich fragte sie, wie sie sich fühlen würde, wenn sie wüsste, wer Mati umgebracht hat, in der Hoffnung, sie hätte die Gewissensbisse überwunden, doch sie erwiderte, wenn sie wüsste, wer von uns eine Mörderin ist, könnte sie nicht länger deren Freundin sein.
Daraufhin fasste ich meinen Entschluss. Ich wusste, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte, und noch einmal durfte ich die Gelegenheit, Marga zurückzugewinnen, nicht verpatzen«, wieder drückte sie Ritas Hand, »und darum beschloss ich, zu Lena zu gehen und sie zu bitten, es ihr nicht zu erzählen.
Ich war gegen fünf bei ihr, und wir unterhielten uns, während sie Gazpacho machte. Ich erreichte nicht, was ich wollte. Mein Verhältnis zu Lena war nie besonders gut gewesen, wir waren zu verschieden, und sie war mit den Jahren immer empfindsamer geworden, immer … wie soll ich sagen … weltfremder, jenseits von Gut und Böse. Sie meinte, sie habe lange genug geschwiegen, und es sei an der Zeit, die Sache klarzustellen. Ich flehte sie an, brachte sämtliche Argumente vor, die mir einfielen, doch es nützte alles nichts, also sagte ich, ich hätte Lust auf einen Tee, wir kochten uns einen, und ich tat ihr eine Handvoll Schlaftabletten hinein, die ich schon zerkleinert in einem Röhrchen dabeihatte, und als die Wirkung eintrat, brachte ich sie ins Bad und schnitt ihr die Pulsadern auf, weil ich dachte, das wäre ein sanfter Tod, der ziemlich gut zu ihr passte. Dann spülte ich die Tassen, räumte sie weg, warf die Klinge in den Mülleimer, nahm die Tüte heraus, ersetzte sie durch eine neue, legte eine von Ritas Kippen hinein, ging aus der Wohnung und ließ die Tür angelehnt.«
»Und warum das alles?«, fragte Machado.
Candela holte tief Luft.
»Ich bin erschöpft.«
»Eine letzte Anstrengung, bitte, dann dürfen Sie sich ausruhen.«
»Weil Rita und ich Streit gehabt hatten, nachdem wir ein paar Stunden so glücklich gewesen waren. Na ja, Streit ist zu viel gesagt. Erzähl du es ihnen, Marga, bitte, ich kann nicht mehr.«
»Candela wollte, dass wir aufhören, uns zu verstecken, uns zu verleugnen. Sie wollte, dass wir ab sofort ein Paar sind.« Rita schluckte. »Ich habe ihr geantwortet, ich hätte ein geregeltes Leben und dass ich mir nicht vorstellen könnte, wie wir zurechtkommen sollten, ich hätte schon eine Partnerin und Kinder, die mich brauchten … und so weiter. Wir sind niedergeschlagen und verärgert auseinandergegangen. Ich glaube, ich war sehr grausam. Das bereue ich jetzt, und du weißt, dass das wahr ist, Candela. Aber in dem Moment war mir, als wäre ich drauf und dran, von einem Zug überrollt zu werden. Ich wollte nur noch auf Abstand gehen, allein sein, nachdenken, nach London zurückkehren, nach Hause.«
»Das war meine Befürchtung«, entgegnete Candela, »dass du
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