Tödliche Küsse
decodierte sie das Schloss des Apartments 61-B und trat durch die Tür.
Cicely Towers hatte es eindeutig zu etwas gebracht, beschloss sie angesichts der ruhigen Eleganz, die sie umfing. Und sie hatte gerne gut gelebt. Sie zog die kleine Videokamera aus ihrem Untersuchungsset, klemmte sie an den Aufschlag ihrer Jacke und betrat das Wohnzimmer. An der zart rosafarben gestrichenen Wand oberhalb einer gedämpft grün und pinkfarben gestreiften, ausladenden Sitzgruppe in U-Form entdeckte sie zwei Gemälde eines bekannten Künstlers aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Dank ihrer Beziehung zu Roarke konnte sie die Bilder identifizieren und erkennen, dass die dezente Einrichtung und die wenigen ausgewählten Stücke ein kleines Vermögen gekostet haben mussten.
Wie viel kassiert ein Staatsanwalt pro Jahr?, fragte sie sich, während die Kamera das Zimmer aufnahm.
Überall herrschte tadellose Ordnung. Aber schließlich war Towers, soweit Eve sie gekannt hatte, eine auf Ordnung und Makellosigkeit bedachte Frau gewesen. Bei der Wahl ihrer Garderobe, bei der Arbeit und was den Schutz ihrer Privatsphäre betraf.
Was also hatte eine elegante, clevere und ordentliche Frau mitten in der Nacht, und dazu noch bei strömendem Regen, in einer derart schmuddeligen Gegend zu suchen gehabt?
Eve ging weiter durch das Zimmer. Der Boden war aus weißem Holz und schimmerte wie ein Spiegel unter den hübschen, ebenfalls grünen und pinkfarbenen Teppichen. Auf einem Tisch standen gerahmte Hologramme zweier Kinder in verschiedenen Entwicklungsstufen von der Babyzeit bis hin zum Collegealter. Ein Junge und ein Mädchen, beide hübsch, beide freundlich lächelnd.
Seltsam, dachte Eve. Im Verlauf der Jahre hatte sie in zahllosen Fällen mit Towers zusammengearbeitet. Hatte sie gewusst, dass die Frau Kinder gehabt hatte? Kopfschüttelnd ging sie hinüber zu dem kleinen Computer, der in die elegante Arbeitsecke des Zimmers eingelassen war und nahm erneut ihre Masterkarte zu Hilfe, um Zugang zu bekommen.
»Auflistung von Cicely Towers’ Terminen vom zweiten Mai.« Mit gespitzten Lippen überflog Eve die angezeigten Daten. Eine Stunde in einem eleganten Fitnessclub, ein voller Tag am Gericht, gefolgt von einem Sechs-Uhr-Termin mit einem prominenten Verteidiger und einer Verabredung zum Abendessen. Eve zog erstaunt die Brauen in die Höhe. Ein Abendessen mit George Hammett.
Roarke hatte geschäftlich mit Hammett zu tun, erinnerte sie sich. Sie war ihm bisher zweimal begegnet und wusste, dass er ein charmanter und gewitzter Bursche war, der von seinem Transportunternehmen ausnehmend gut lebte.
Die Verabredung mit Hammett war die letzte, die Cicely Towers für den Tag ihres Todes in ihrem Computer vermerkt hatte.
»Ausdruck«, murmelte sie und stopfte das Papier in ihre Tasche.
Als Nächstes versuchte sie ihr Glück, indem sie den Tele-Link nach sämtlichen ankommenden und ausgehenden Anrufen der letzten achtundvierzig Stunden befragte. Wahrscheinlich müsste sie viel tiefer graben, aber für den Anfang ließ sie sich die Anrufe aufzeichnen, schob die Diskette zu dem Computerausdruck in die Tasche und begann mit einer sorgfältigen Durchsuchung des Apartments.
Um fünf Uhr morgens brannten ihre Augen, und ihr Schädel drohte zu zerbersten. Die Stunde Schlaf, die sie zwischen Sex und Mord hatte einschieben können, hatte eindeutig nicht gereicht.
»Nach bisherigen Informationen«, sprach sie müde in ihren Recorder, »lebte das Opfer allein. Die bisherigen Ermittlungen haben keine gegenteiligen Hinweise ergeben. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass das Opfer seine Wohnung unfreiwillig verlassen hat, und es gibt keinen Vermerk über eine Verabredung, die erklären würde, weshalb das Opfer an den Ort seiner Ermordung fuhr. Die Ermittlungsleiterin hat die entsprechenden Daten von ihrem Computer und ihrem Tele-Link für weitere Überprüfungen gesichert. Die Befragung der Nachbarn beginnt um null sieben Uhr, und die Überwachungsdisketten des Gebäudes werden konfisziert. Die Ermittlungsleiterin verlässt die Wohnung des Opfers und fährt weiter zum Büro des Opfers im Rathaus. Lieutenant Eve Dallas. Null fünf, null acht.«
Eve schaltete Recorder und Videokamera aus, steckte beides in die Tasche und machte sich auf den Weg.
Es war bereits nach zehn, als sie endlich ihr Büro erreichte. Als Zugeständnis an ihren knurrenden Magen ging sie zuerst in die Kantine, wo sie sich, nicht überrascht, aber enttäuscht, weil der Großteil der
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