Tödliche Küsse
es nichts Ernstes war. Sie hat ständig versucht, den perfekten Mann für Cicely zu finden.«
»Commander, ich frage lieber jetzt, inoffiziell. Hatten Sie eine sexuelle Beziehung zu dem Opfer?«
Ein Muskel in Whitneys Wange zuckte, doch sein Blick blieb völlig reglos, als er erklärte: »Nein, hatte ich nicht. Wir waren Freunde, und diese Freundschaft war mir und meiner Frau sehr wertvoll. Im Grunde war sie sogar so etwas wie ein Mitglied der Familie. Aber natürlich hat jemand wie Sie, Dallas, keine Ahnung, was das heißt.«
»Nein«, erwiderte sie tonlos. »Da haben Sie wahrscheinlich Recht.«
»Tut mir Leid.« Whitney kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit den Händen über das müde Gesicht. »Das war unnötig und unfair. Und Ihre Frage war durchaus relevant.« Er ließ seine Hände wieder sinken. »Sie haben noch nie einen Menschen verloren, der Ihnen wirklich wichtig war, nicht wahr, Dallas?«
»Nicht, soweit ich mich erinnern kann.«
»Es reißt einen in Stücke«, murmelte er leise.
Sie nahm an, dass es so war. In den zehn Jahren, in denen sie Whitney kannte, hatte sie ihn wütend, ungeduldig, ja sogar kalt und hartherzig, nie zuvor jedoch so völlig deprimiert und fassungslos erlebt.
Falls das der Preis war, den ein starker Mann wie Whitney für Nähe und dann für deren Verlust zahlte, nahm Eve an, dass sie besser dran war, wenn sie diese Nähe gar nicht erst besaß.
Sie hatte keine Familie, die sie verlieren könnte, und nur vage, bruchstückhafte, doch durchgehend hässliche Erinnerungen an die ersten Jahre ihrer Kindheit. Ihr wahres Leben hatte erst begonnen, als sie im Alter von acht Jahren zerschunden und verlassen in Texas aufgegriffen worden war. Was vor dem Tag passiert war, war vollkommen egal. Sie sagte sich immer wieder, es wäre vollkommen egal. Sie hatte sich zu der gemacht, die sie heute war. Sie hatte nur wenige Freunde, die sie wirklich mochte und denen sie vertraute. Und für mehr als Freundschaft hatte sie inzwischen Roarke. Er hatte sie weit genug geschwächt, als dass sie ihm tatsächlich mehr gab. So viel mehr, dass sie hin und wieder Angst davor bekam – weil sie genau wusste, dass er erst zufrieden war, wenn er alles bekam.
Doch wenn sie ihm alles gäbe und ihn dann verlöre, risse es sie dann ebenfalls in Stücke?
Statt weiter darüber nachzudenken holte sich Eve noch einen Kaffee und verschlang die Reste eines Schokoriegels, der offenbar vor Urzeiten in der Schublade ihres Schreibtischs vergessen worden war. Die Hoffnung auf ein anständiges Mittagessen war ebenso absurd wie der Traum von einer Woche in den Tropen, deshalb nippte sie traurig an dem Kaffee und kaute auf der zähen Schokolade herum, während sie den endgültigen Autopsiebericht auf ihrem Bildschirm überflog.
Die genaue Todeszeit kannte sie schon aus dem vorläufigen Bericht. Todesursache waren eine durchtrennte Halsschlagader und der daraus resultierende Blut- und Sauerstoffverlust. Ungefähr fünf Stunden vor seinem Tod hatte das Opfer noch Kamm-Muscheln mit jungem Blattgemüse, Wein, echten Kaffee und frisches Obst mit Schlagsahne genossen.
Die Nachricht hatte sie überraschend schnell erreicht. Cicely Towers hatte erst zehn Minuten auf dem Bürgersteig gelegen, als ein Taxifahrer, der mutig oder verzweifelt genug gewesen war, um in der Gegend zu arbeiten, ihre Leiche entdeckt und der Polizei gemeldet hatte. Der erste Einsatzwagen war drei Minuten nach dem Rundruf der Zentrale am Fundort eingetroffen.
Ihr Mörder hatte schnell gehandelt. Allerdings war es auch nicht weiter schwierig, in einer solchen Umgebung unterzutauchen, indem man in einem Wagen, einer Haustür oder einem der unzähligen Clubs verschwand. Bestimmt war das Blut aus der klaffenden Wunde ziemlich weit gespritzt, aber der Regen hatte dem Mörder sicherlich genützt, indem er es von seinen Händen wusch.
Sie müsste die Gegend abklappern, müsste Fragen stellen, auf die sie sicher sowieso keine befriedigenden Antworten bekäme. Nun, dort, wo die gängigen Verfahren oder auch Drohungen nicht reichten, funktionierte immerhin gelegentlich Bestechung.
Während sie das Polizeifoto von Cicely Towers mit der blutigen Halskette studierte, blinkte ihr Tele-Link.
»Dallas, Mordkommission.«
Auf ihrem Bildschirm erschien ein junges, strahlendes, doch zugleich verschlagenes Gesicht. »Lieutenant, was haben Sie mir zu erzählen?«
Eve unterdrückte einen Fluch. Generell hatte sie keine allzu hohe Meinung von Reportern, und gegenüber C.
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