Tödliche Liebe: Roman (German Edition)
verstrichen war, fiel es schwer zu vergessen, daß die Frau, der sie gleich gegenüberstehen würde, eine Person war, die sie einmal bewundert und respektiert und der sie vertraut hatte.
Aus bitterer Erfahrung wußte Deanna, daß Angela eine Expertin im Manipulieren von Gefühlen war. Deannas Problem – und nach den Äußerungen vieler auch ihre besondere Stärke – bestand darin, daß sie unfähig war, ihre Gefühle zu verbergen. Sie standen ihr einfach ins Gesicht geschrieben und sprachen für jeden, der darauf achtete, eine deutliche Sprache. Was immer sie gerade fühlte, spiegelte sich in ihren grauen Augen, wurde durch die Neigung des Kopfes oder den Ausdruck ihres Mundes offenbar. Einige meinten, genau dadurch würde sie unwiderstehlich und gefährlich. Mit einer schnellen Bewegung des Handgelenks drehte Deanna den Rückspiegel auf sich zu. Ja, dachte sie versonnen, sie konnte sehen, daß ihre Augen vor Wut funkelten, konnte den verhaltenen Groll und den Schmerz, der auf ihrer Seele lastete, erkennen. Immerhin waren sie und Angela einmal Freundinnen gewesen oder hatten zumindest kurz davor gestanden, welche zu werden.
Doch Deanna verspürte auch eine gewisse Vorfreude. Es ging um ihren Stolz, und das anstehende Wortgefecht war schon lange überfällig gewesen.
Mit einem dünnen Lächeln brachte sie einen Lippenstift zum Vorschein und bemalte sorgfältig ihren Mund. Ohne
diesen elementarsten Schutz sollte sie nicht in den Schlagabtausch mit ihrer Erzrivalin gehen. Erfreut über ihre völlig ruhige Hand ließ sie den Lippenstift wieder in die Handtasche fallen und stieg aus dem Wagen. Einen Augenblick lang stand sie da, atmete die milde Nachtluft ein und stellte sich die eine Frage.
Bist du ruhig, Deanna?
Nein, dachte sie, innerlich rotiere ich. Solange das jedoch ihrer Kraft zugute kam, war das nicht weiter schlimm. Deanna schlug die Autotür zu und ging mit energischen Schritten über den Parkplatz. Sie zog den Plastikausweis aus der Tasche und steckte ihn in den Sicherheitsschlitz neben dem Hintereingang. Sekunden später leuchtete ein kleines grünes Licht auf, und ein Klicken zeigte an, daß sie die Türklinke nach unten drücken und die schwere Tür aufziehen konnte.
Sie knipste die Treppenbeleuchtung an und ließ die Tür hinter sich sanft ins Schloß fallen.
Interessant, daß Angela nicht schon vor mir da ist, dachte sie. Wahrscheinlich wird sie den Fahrdienst genommen haben. Seit Angela sich in New York niedergelassen hatte, stand ihr in Chicago nicht mehr rund um die Uhr ein Fahrer zur Verfügung. Überrascht stellte Deanna fest, daß sie auf dem Parkplatz gar keine Limousine gesehen hatte, die auf Angela wartete.
Angela war sonst wirklich immer sehr pünktlich, und das war eines der vielen Dinge, die Deanna an ihr schätzte.
Während sie ein Stockwerk nach unten ging, wurde das Klicken ihrer Absätze auf den Treppenstufen mit einem hohlen Echo von den Wänden zurückgeworfen. Als sie ihren Ausweis in den nächsten Sicherheitsschlitz gleiten ließ, fragte sie sich kurz, wen Angela wohl geschmiert, bedroht oder verführt haben mochte, um Einlaß in dieses Studio zu bekommen.
Vor gar nicht so vielen Jahren war Deanna genau diesen Weg noch mit weit aufgerissenen Augen und voller Enthusiasmus entlanggeeilt, wenn Angela sie mit einem fordernden Fingerschnippen gebeten hatte, irgendwelche Aufträge für
sie auszuführen. Wie ein kleines Hündchen hatte sie jedem Zeichen der Anerkennung entgegengefiebert. Doch wie jeder kluge kleine Hund hatte auch sie dazugelernt.
Als es dann zum Verrat und ihrer abrupten und schmerzhaften Desillusionierung gekommen war, hätte sie – um bei dem Vergleich mit dem kleinen Hund zu bleiben – herumwinseln können. Statt dessen hatte sie ihre Wunden geleckt und sich alles nutzbar gemacht, was sie gelernt hatte – bis die Schülerin zur Meisterin geworden war.
Eigentlich hätte sie die Entdeckung, wie schnell alte Ressentiments und seit langem verflogener Groll wieder aufflammen können, nicht weiter überraschen sollen. Dieses Mal würde sie Angela in ihrem eigenen Revier gegenüberstehen, dachte Deanna, und das Treffen würde nach ihren Regeln ablaufen. Das naive Mädchen aus Kansas brannte inzwischen darauf, ihrer Kontrahentin zu beweisen, daß ihre Ambitionen Wirklichkeit geworden waren.
Und hatte Deanna das erst einmal getan, würde es ja vielleicht die Atmosphäre zwischen ihnen bereinigen, so daß sie sich beide auf der gleichen Ebene begegnen konnten.
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