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Toedliche Offenbarung

Titel: Toedliche Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Kuhnert
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durchdringt das Gewebe seiner beigen Cargohose. Der Stoff klebt bereits an der Wade. Der Strahl wandert weiter zu seinem T-Shirt und macht auch vor seinem Gesicht nicht halt. Felix schließt die Augen wieder. Ekel und Angst füllen ihn aus. Noch nie hat er sich so gedemütigt und erniedrigt gefühlt. Noch nie hat er so viel Angst gehabt.
    Schließlich versiegt der Strahl und das Ratschen des Reißverschlusses ist erneut zu hören. Vorsichtig öffnet Felix die Augen einen winzigen Spalt. Matusch grinst ihn breit an.
    »Los, Arschgesicht, auf geht’s. Wenn es nach mir ginge, wäre jetzt Feierabend für dich. Mit Schnüfflern macht man kurzen Prozess.« Matusch spuckt vor ihm auf die Erde. »Steh auf.«
    Langsam kommt Felix hoch. Die feuchte Hose und das Hemd kleben an ihm. Der Knebel in seinem Mund ist nass. Beißender Uringeruch steigt ihm in die Nase, doch zum Ekeln hat er keine Zeit. Kaum steht er halbwegs, bekommt er von Matusch einen Tritt in den Hintern.
    »Hast Glück, weil du Karl mal geholfen hast. Er gibt dir eine Chance. Also los, renn.« Matusch grinst breit. »Laufen, habe ich gesagt.« Dann dreht er sich um, geht zum Auto und greift ins Handschuhfach.
    Felix wartet nicht so lange. Ohne Kevin noch einmal anzusehen, setzt er sich in Bewegung. Rechts am Weg stehen dichte Büsche. Daneben drei dünnstämmige Birken. Das könnte seine Rettung sein.
    Kaum ist Felix ein paar Meter in diese Richtung gelaufen, hört er einen Knall. War das ein Schuss? Felix dreht sich um und entdeckt Matusch neben dem Nissan. In der Hand eine Pistole. Schon folgt der nächste Schuss. Felix hört den Einschlag der Kugel im Baum neben sich. Wie von Sinnen beschleunigt er seine Schritte.
    »Ey, wie geil ist das denn?«, hört er Matusch juchzen. Dann knallt es erneut und eine Pistolenkugel streift die Birke rechterhand.
     

27
     
    Martha legt das Blatt auf den Stapel. Schreckliche Zeit damals. Keine Frage. Trotzdem kann sie nicht sagen, dass dieses Interview sie sonderlich berührt. Natürlich hat die Zivilbevölkerung gelitten. In Hamburg und Dresden sehr viel stärker als in Celle. Häuserzeilen wurden getroffen, ganze Stadtviertel ausradiert. Menschen starben, andere mussten fliehen und die Heimat verlassen. Über all das hat man tausendmal berichtet. Martha hat so viele Bilder vom Krieg gesehen, dass es sie nicht mehr betroffen macht. Mehr noch. Sie will sie nicht mehr sehen. Fünfundsechzig Jahre nach Kriegsende ist der Krieg Geschichte geworden.
    Sie wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. Eigentlich müsste Max längst da sein. Jetzt ist schon über eine halbe Stunde seit seinem Anruf vergangen. Sie blättert die Seite um. Für einen Eintrag reicht es vielleicht noch.
     
    Adalbert Messerschmidt, Jahrgang 1910, 42 Jahre alt, Maschinenschlosser, wohnhaft Riemannstraße
    Guten Morgen, junges Fräulein. Ich habe schon gehört, dass Sie eine ganz Neugierige sind. Also, hereinspaziert, setzen Sie sich und schießen Sie los.
    An den 8. April 1945 kann ich mich gut erinnern. An jenem Sonntagmorgen habe ich ausführlich die Wochenendausgabe der Celleschen Zeitung gelesen. Es gab die Tipps für den Gartenfreund und den neuen Teil des Fortsetzungsromans von Hermann Löns: Der Wehrwolf . Gerade an jenem Tag war es besonders spannend. Der Wulfsbauer und die anderen jagten ihre Feinde wie die Hasen.
    Kennen Sie das Buch? Nein? Das müssen Sie lesen.
    Ja, kommen wir zu dem Sonntag zurück. Ich hatte zu der Zeit Genesungsurlaub, eine Beinverletzung aus Frankreich. Damals …, ich will jetzt nicht zu weit ausholen, aber ich hinke noch heute wegen dieser Granatsplitter. Ich kann froh sein, dass ich so glimpflich davongekommen bin. Viele meiner Kameraden hat es viel schlimmer erwischt. Manche sind gar nicht wieder heimgekommen.
    An jenem Sonntag ist meine Frau mit unserer Tochter am späten Vormittag in der Schuhstraße gewesen. Das war eine seltsame Stimmung an jenem Tag. In der Zeitung wurden zwar immer noch Durchhalteparolen verkündet, aber die Front rückte näher, das wusste jeder. Keiner ließ sich durch den Fliegeralarm abschrecken. Meine Frau und unsere Tochter, die Marianne, haben ihre Einkäufe erledigt und sind gegen Mittag zurückgekommen. Meine Frau war müde. Sie hat Herzprobleme, seit unser Sohn an der Ostfront gefallen ist. Da ist sie bis heute nicht drüber weg.
    Ich habe nach dem Mittagessen im Garten gearbeitet. Der Frühling lag in der Luft und ich wollte den Boden vorbereiten, um die Einsaat …
    Ja, mein Garten liegt

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