Toedliche Offenbarung
ausgeschlagene Birken. Was hat dieser Kerl mit ihm vor? Felix dreht sich um und wirft seinem ehemaligen Mitschüler einen hilfesuchenden Blick zu. Kevin senkt die Augenlider. Er ist verunsichert. Die stumme Bitte, die ihm Felix herübergeschickt hat, kann er nicht einfach wegschieben, aber er will sich auch nicht gegen Matusch stellen. Der hat ihm den Weg gezeigt, damit er endlich rauskommt aus dieser öden Siedlung. Matusch hat ihn mit in die Gruppe genommen und ihm so etwas wie eine Familie zurückgegeben. Alle haben hier ein gemeinsames Ziel, eine Aufgabe, an der sie arbeiten. Er ist jetzt Karl und nicht mehr dieser lächerliche Kevin, auf den alle heruntersehen, er ist wer. Er ist ein »Aufrechter Deutscher«.
»Los vorwärts.« Matusch schubst Felix gegen die Ladefläche des Pick-ups. »Kletter rauf.«
Eigentlich schaut Kevin gerne zu, wenn der Ältere seine Wut an anderen auslässt. Matuschs Zorn bricht dann in einer ungezügelten Wildheit aus ihm heraus, ohne Angst vor dem Gegner und vor Konsequenzen. Diese bedingungslose Entschlossenheit vermisst Kevin an sich selbst. Bevor er zuschlägt, denkt er nach. Jedes Mal. Matusch hat ihm schon tausendmal gesagt, dass das ein Fehler ist. Immer drauf, damit die begreifen, wer das Sagen hat, das ist seine Devise.
»Wenn wir erst an der Macht sind, ziehen wir sowieso neue Seiten auf. Dann ist Schluss mit diesem Gelaber.«
Kevin zögert. Mit Matusch zu reden, kann er vergessen. In dieser Stimmung bremst ihn keiner. Unmöglich.
24
»Ab wann dürfen unsere Clubmitglieder wieder Golf spielen?« Goldmann ist zu Borgfeld und Streuwald herangetreten, die immer noch unentschlossen vor dem Absperrband stehen.
»Na ja …« Borgfeld sieht seinen Kollegen an. »Eigentlich hat keiner gesagt, dass der Platz nicht betreten werden darf.«
»Das ist ja schon mal etwas. Kann man auch die Wagen und Bags aus dem Caddyhaus holen?« Goldmann steckt seine Hand in die rechte Hosentasche. »Es ist Wochenende und die Leute wollen auf die Runde. Wir sind ein angesehener Verein, Golfer sind …«
Sein schier endloser Vortrag langweilt Streuwald. Golf. Als wenn das Sport wäre. Bewegung für ältere Herrschaften, vielleicht, aber nicht mehr. Er muss diesen geschniegelten Lackaffen doch nur ansehen, um zu wissen, was das für eine Sportart ist. Kurze rote Hosen mit dunkelblauen Kniestrümpfen, dazu weiße Schuhe mit braunen Litzen. Damit würde keiner seiner Jungs auf den Platz kommen, ohne ausgepfiffen zu werden.
Endlich kommt Goldmann mit seinem Monolog über die Bedeutung des Golfsports zum Ende. Er zieht seine Hand aus der Tasche, darin glänzt etwas Weißes: ein Golfball.
Streuwald erkennt farbige Punkte darauf: grün, weiß, rot.
»Kann ich den mal haben?«
Die Frage überrascht Goldmann, doch er reicht den Golfball Streuwald. Der wendet ihn hin und her und reicht ihn schließlich an Borgfeld weiter.
»Ein Wappen mit gekreuzten Golfschlägern. Erkennst du es?«
»Ist das gleiche Muster.« Borgfeld dreht sich zu Goldmann um. »Hat das eine besondere Bedeutung?«
»Das ist unser Clublogo. Jeder Club, der etwas auf sich hält, hat einen Golfball mit eigenem Logo.«
Borgfelds Augen blitzen bei diesen Worten auf. Ein Toter im Golfclub, im Mund ein Golfball des Clubs. Klare Sache. Er grinst. Von dem Geld, was ihm die Beförderung einbringt, könnte er endlich mal wieder Urlaub an der See machen.
»Wo kann man diese Bälle kaufen?«
»Bei uns im Pro Shop .«
»Ah ja, Pro Shop , wunderbar. Und … wo ist der?«
»Vorne, gleich neben der Station der Greenkeeper.«
Greenkeeper? Borgfeld runzelt die Stirn.
»Zeigen Sie uns am besten mal, wo der Platzwart seine Geräte stehen hat«, hilft Streuwald seinem Kollegen auf die Sprünge.
25
Martha steht an der Spüle und schrubbt ihre Teekanne. Oben am Rand ist ein brauner Belag. Mit einer Zahnbürste schiebt sie Küchenpapier in die Ritze, die sich zwischen dem beweglichen Henkel und dem Kannenkörper bildet. Nach dem dritten Versuch gibt sie auf. Sie braucht etwas Schmaleres. Während sie in der Schublade des Küchentisches sucht, fällt ihr Blick auf die Anrichte. Dort liegt die Fotokopie der Aufzeichnungen, die ihr ein Mann am Freitag in der Redaktion vorbeigebracht hat.
»Gestatten, Julius Trott aus Celle. Ich unterrichte am Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium in Celle«, stellte er sich vor und erzählte von seiner verstorbenen Großmutter und dem Fund dieser alten Aufzeichnungen bei der gerade stattfindenden
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