Toedliche Offenbarung
direkt gegenüber vom Güterbahnhof.
Ein Zug stand dort. Stimmt. Der war ziemlich lang und hatte offene Metall- und Holzwaggons, in denen Leute saßen. Immer wieder haben sie etwas aus den Waggons getragen. Was die Leute anhatten? So genau konnte ich das auch nicht sehen, ich habe mir ja kein Fernglas geholt. Außerdem waren die meistens in Decken gewickelt.
Also gut, der Stoff war gestreift. Die SS-Leute standen direkt neben dem Zug; die hatten Gewehre geschultert, manche sogar im Anschlag. Ich habe mich da nicht weiter drum gekümmert. Ich misch mich nicht in Dinge ein, die mich nichts angehen. Das bringt nichts. Nur Ärger.
Bei der Bombenwarnung ging ich mit der Marianne und meiner Frau sofort in den Keller. Der ganze Wahnsinn dauerte dann eine Stunde. Danach lag die Gegend um den Bahnhof herum in Trümmern. Überall nur Dreck und Qualm. Immerzu hörte man es krachen und ununterbrochen schrie jemand. Es stank fürchterlich nach Verbranntem, und kleine schwarze Papierfetzen schwebten wie Schneeflocken vom Himmel.
Ob uns etwas aufgefallen ist? War das nicht genug?
Was danach war?
Wo Sie so fragen – etwas irritierte mich damals. Als der Fliegeralarm kam, musste ich meine Laube überstürzt verlassen. Nicht einmal abgeschlossen hatte ich. Später am Abend bin ich zurück in den Garten, wollte nach dem Rechten sehen und meine Jacke holen. Die hatte ich am Nachmittag liegengelassen. Aber sie war weg. Meine Arbeitssachen fehlten auch. Sogar die Flasche Korn, die zur Reserve dort stand, falls jemand mal zu Besuch vorbeikäme.
Stattdessen lag ein Haufen schmutziger, graublau gestreifter Kleidungsstücke unter der Sitzbank und ein paar blutige Stofffetzen aus dem gleichen Material.
Nein, ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, sondern bin in die Wohnung gegangen. Und jetzt ist es genug, auf Wiedersehen.
Dora Müller, Jahrgang 1908, 44 Jahre alt, Stenotypistin, wohnhaft Denickestraße
Sie wohnen also bei der Elfriede. Setzen Sie sich, Fräulein Clara. Wollen Sie eine Tasse Kaffee trinken? Und ein Stück Butterkuchen? Wirklich nicht? Aber Sie sehen ganz mitgenommen aus. So schmal. Hier, bitte, seien Sie nicht so schüchtern.
Es ist schön, Besuch zu bekommen. Als Witwe ist man viel allein. Mehr als einem lieb ist. Früher, als mein Mann noch lebte, … Aber lassen wir das. Sie sind so jung, Sie sollten sich mit diesen alten Geschichten nicht plagen. Das ist alles vorbei und vergessen. Das interessiert keinen mehr. Schon gar nicht in Amerika. Genießen Sie lieber das herrliche Wetter. Da hinten im Neustädter Holz kann man wundervolle Spaziergänge machen oder im Wietzenbruch. Da ist es richtig idyllisch, eine wunderbare Heidelandschaft. Gehen Sie dort den Hermann-Löns-Weg entlang.
Was, Sie kennen unseren Heimatdichter nicht? Der hat so schöne Gedichte über die Heide geschrieben, auch einiges über Celle. Der hat die Seele der Menschen hier verstanden.
Das Ende des Krieges war eine schlimme Sache. Alle reden ja immer nur davon, was wir Deutschen angeblich gemacht haben. Keiner redet von dem Leid, das wir erlitten haben. Da wurde keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen. Überhaupt nicht. Ganz zum Schluss fielen Bomben auf Celle. Völlig überflüssig, der Engländer stand doch sowieso vor den Toren. Das wussten alle, trotzdem mussten die Amis vorher alles kaputtmachen.
Ja, das war der 8. April, ein Sonntag. Ich kann mich genau erinnern. Meine Mutter war früh in die Stadt gegangen. Es sollte Bohnenkaffee geben. Endlich mal wieder. Kaffee war zu der Zeit eine Rarität. Ich blieb zu Hause, weil ich am Nachmittag arbeiten musste.
Erst gab es Voralarm. Dreimal kurz mit der Sirene. Das war am Vormittag. Hat aber keiner drauf reagiert. Meine Freundin kam gegen Mittag vorbei und sagte, dass die Erdölraffinerie in Nienhagen getroffen sei. Alles brannte dort lichterloh und man sah von meinem Küchenfenster aus den schwarzen Rauch am Himmel. Sie wollte mit dem Fahrrad dorthin fahren. Das ist nämlich eine ganz Neugierige, die Babette; aber ich blieb daheim. Schließlich habe ich drei Kinder und mein Mann ist im letzten Kriegswinter gefallen. Da konnte ich mir solche Sperenzien nicht erlauben.
Vorsichtshalber habe ich wegen des Alarms unseren Keller überprüft. Ich hatte so ein komisches Gefühl, aber mein Ältester, der Herbert, hatte alle Fenster vernagelt, sogar die Wände mit Kanthölzern versteift. Der Herbert war mir mit seinen 14 Jahren sowieso eine große Hilfe. Auf den konnte ich mich
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