Toedliche Offenbarung
noch enger an sich.
»Was ist passiert?« Beckmann sucht ihre Augen, doch Martha starrt an ihm vorbei zum Gläserschrank. Blass sieht sie aus, fremd und doch vertraut. Warum lächelt sie ihn nicht wenigstens einmal an? Sie kann sich doch denken, dass es für ihn auch nicht leicht ist, einfach wieder vor ihrer Tür zu stehen, als wäre nichts passiert. Aber was ist eigentlich passiert? Diese eine Nacht, dieser eine Ausrutscher. Beckmann möchte Martha am liebsten an sich drücken, sie trösten, aber er traut sich nicht.
Martha starrt auf den Holzfußboden. Was ist passiert? Was für eine blöde Frage. Vieles ist passiert, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hat. Soll sie ihm etwa sagen, dass sie sich elend fühlt, dass sie ihn vermisst hat?
»Nun sag schon!« Beckmann wirft ihr einen aufmunternden Blick zu, obwohl er sich von Sekunde zu Sekunde unwohler in seiner Haut fühlt. Wenn sie ihn doch wenigstens einmal ansehen würde. Er hat schon immer gut in ihren Augen lesen können. Dort und nirgends anders zeigen sich ihre Gefühle.
Endlich lösen sich Marthas Augen vom Fußboden.
»Trixi hat heute Morgen einen Toten im Golfclub entdeckt.«
Immerhin hat sie geredet und immerhin hat sie aufgeschaut. Wenn auch nur Richtung Fenster. Unsicher, was er machen soll, steht Beckmann immer noch vor der Eingangstür.
»Was machst du eigentlich im Golfclub?«
»Ich lerne Golf.«
»Du?«
Täuscht sie sich oder zwinkert er ihr mit dem rechten Auge zu?
»Du hast dich doch früher immer darüber lustig gemacht.«
Wehe, er wiederholt jetzt diesen Witz. Dann fängt sie sofort an zu schreien.
Beckmann macht einen Schritt auf sie zu. Haben Sie noch Sex oder golfen Sie schon? Nein, das lässt er besser. Und jetzt? Beckmann zögert erneut, dann legt er seinen Arm auf ihre Schulter. Martha macht sich bei der Berührung steif. Trotzdem geht es ihr sofort besser.
Ihre zu Fäusten zusammengeballten Finger öffnen sich und sinken langsam auf ihre Oberschenkel. Beckmann tritt noch dichter an sie heran und legt seinen anderen Arm um ihre Taille.
Martha lehnt vorsichtig ihren Kopf an seine Schulter. Sein vertrauter Geruch tut ihr gut.
30
»Wo steckt Felix nur?« Sonja schaut auf ihre Uhr. »Er ist schon mehr als drei Stunden fort.«
Ihr Bruder verzieht den Mund. »Das dauert eben länger. Hier, sieh dir mal die Seite im Internet an. Wir für Niedersachsen . Die Autonomen sind die Vermummten, die kaum einen Satz richtig herauskriegen – und die »Aufrechten Deutschen« tragen hübsche ordentliche Pullis, akkurate Haarschnitte und sind die mit den erstrebenswerten Idealen.«
Ali tippt auf die Taste für die Lautstärke. Klar und deutlich sind die Stimmen zu hören: »Wir sind für ein Leben in Gemeinschaft und Verlässlichkeit.« »Nicht der Konsum soll im Mittelpunkt stehen, sondern gemeinsame Erlebnisse, die Kameradschaft.« »Freie Menschen statt freie Märkte.«
Ali dreht den Monitor zu seiner zwei Jahre älteren Schwester herum. »Könnte glatt von dir sein.«
Sonja schaut nicht hin. Ihre Unruhe wächst von Minute zu Minute. Felix wollte nur kurz zu dem Haus. Ein paar Fotos machen, das kann doch nicht so lange dauern. Danach wollte er sich sofort melden. Die Aufnahmen sollten schließlich noch mit ins Netz gestellt werden.
»Ich fahre da jetzt hin. Vielleicht ist etwas passiert.«
»Quatsch, der ruft bestimmt gleich an. Außerdem: Was hast du plötzlich mit diesem Felix? Läuft da was?« Ein breites Grinsen umspielt Alis Mund.
»Quatsch!« Ihre Stimme ist eine Nuance schriller als sonst. »Das nennt man Solidarität. Musst du dir mal merken.«
31
Goldmann zeigt auf den flachen Anbau neben dem Geräteschuppen. In den Auslagen sind Golfschläger, Taschen, Hemden und Pullover zu sehen.
»Hier bekommen Sie alles, was sie auf der Runde brauchen. Handschuhe, Tees – und Bälle verschiedenster Fabrikate.«
Borgfeld und Streuwald öffnen die Tür. Eine helle Glocke klingelt. Kaum haben die beiden zusammen mit dem Präsidenten des Golfclubs den Laden betreten, tritt eine gut aussehende Frau um die vierzig hinter einem Regal hervor, grüßt in die Runde und streckt dem Präsidenten ihren Handrücken entgegen.
»Guten Morgen, meine liebe Ina. Ich dachte, Frau Zistrow ist heute da«, begrüßt Goldmann sie und senkt sein Haupt zum angedeuteten Handkuss.
»Die ist krank und hat mich gebeten, sie zu vertreten – dabei hatte ich eigentlich etwas Besseres vor«, seufzt sie und schlägt die Wimpern entnervt hoch.
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