Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Dämmerung begann
es plötzlich heftig zu regnen.
Sie saß
verspannt am Steuer und schwitzte. Nach langem Suchen auf dem Armaturenbrett gelang
es ihr, die Scheibenwischer anzustellen, aber das Abblenden der Scheinwerfer machte
ihr Mühe. Immer wieder verschwand Alex’ Wagen vor ihr, und sie fühlte sich dann
minutenlang entsetzlich allein und verloren, schutzlos den Gefahren der Straße ausgesetzt.
Stoßgebete nützten nichts. Sie litt Höllenqualen, musste durchhalten – sonst würde
sie umkommen auf dieser Autobahn, die sie aus tiefstem Herzen hasste.
Sie wollte
doch leben, gerade jetzt. Ihre Hände umklammerten das Steuerrad, als stünde sie
am Rand eines Abgrunds.
Kurz vor
Ulm zweigte Alex endlich in eine Ausfahrt ab. Sie nahmen ein Zimmer in einem Motel.
Eva fiel nach der furchtbaren Fahrt erschöpft in tiefen Schlaf. Doch auch im Traum
fuhren riesige Trucks, denen sie nicht ausweichen konnte, ununterbrochen auf sie
zu.
Selbst nach
Jahrzehnten hatte sie das Trauma dieser Fahrt nicht ganz überwunden, hatte nicht
vergessen, wie überfordert sie sich gefühlt und wie einzig ihre Verliebtheit sie
angetrieben hatte, am nächsten Morgen noch einmal ins Auto zu steigen und bis München
zu fahren, in eine Garage. Höchste Zeit, denn der Ford, der andauernd Öl verlor,
musste dringend repariert werden. Eine Tollkühnheit, sich mit ihrer geringen Fahrpraxis
ans Steuer eines fremden Wagens zu setzen, überlegte Eva. Heute würde sie das strikt
ablehnen, eine solche Verrücktheit auf keinen Fall mehr mitmachen. Nur um der Liebe
willen?
Der Auftakt
zu ihrem gemeinsamen Sommer schien rückblickend weit gefährlicher als später sämtliche
Kletter- und Hochtouren in den Dolomiten. Von Emanzipation oder Mut, zu ihrem Unvermögen
zu stehen und sich entsprechend zu wehren, leider keine Spur. Sie passte sich schweigend
an, nahm alles, selbst Lebensgefahr, in Kauf, weil sie Alex nicht verlieren wollte.
Blind vor Liebe. Blöd aus Verliebtheit.
Heute würde
sie einen solchen Mann zum Teufel schicken! Würde laut herauslachen über eine solch
unsinnige Forderung – und sich vor allem kein bisschen schämen über ihre Ungeschicktheit
und ihre Ängste beim Autofahren, hoffte sie.
Jahrelang wiederholte sich derselbe
Alptraum, aus dem sie jedes Mal schweißnass erwachte: Ein Crash auf der Autobahn!
Sie sah pausenlos Personen- und Lastwagen mit unheimlicher Geschwindigkeit auf sich
zurasen, konnte weder ausweichen noch bremsen und wusste: Im nächsten Moment wird
es krachen, und ich werde unter einer Blechlawine begraben sein! Die Angst, eines
Tages auf einer Autobahn zu sterben oder schlimmer noch, andere in Lebensgefahr
zu bringen, setzte sich in ihrem Kopf fest, wurde zu einer fixen Idee. Jahrelang
versuchte sie vergeblich, sich dagegen zu wehren. Auto fahren wollte sie nie mehr,
die Angst vor einem Unfall war zu groß.
Dem österreichisch gefärbten, leicht
näselnden, liebenswürdigen Deutsch von Alex konnte sie nicht widerstehen, und blumige
Komplimente kamen ihm – jedenfalls zu Beginn ihrer Beziehung – spielerisch über
die Lippen. Wortverführen ließ sie sich leicht. Aufgewachsen war er in Rom als Sohn
einer einst adligen k & k-Familie ungarischer Abstammung, darum stand ein goldenes
Krönchen auf seiner Visitenkarte. Zugegeben, das beeindruckte sie, vor allem, weil
es ihm nicht wichtig zu sein schien und er sich eher zu den »gewöhnlichen«, den
kleinen Leuten hingezogen fühlte. Er sah ohnehin eher aus wie ein einfacher Bergler,
keine Spur von eleganter Kleidung; einen Anzug oder gar eine Krawatte zu tragen
lehnte er ab. Äußerlichkeiten schienen ihm egal zu sein. Der Vater war Chirurg in
Rom, die Mutter, eine feine, gebildete Dame, lernte sie in jenem Sommer kennen und
schätzen. Von seinen zwei älteren Brüdern erzählte er nie etwas, pflegte kaum Kontakt
mit ihnen. Alex blieb auch als Erwachsener das Sorgenkind der Familie, wie ihr seine
Mutter einmal lächelnd gestand.
Er war eben aus der saudiarabischen
Wüste zurückgeflogen, wo er als Geologe, spezialisiert auf Hydrologie, für die FAO
(Food and Agricultural Organisation) in Rom im Einsatz stand. Bis über beide Ohren
verliebt, versuchte sie zu verdrängen, was er gleich zu Beginn ihrer Reise nach
Südtirol in einem Münchner Hotelzimmer zu ihr sagte: »Wir werden eine schöne Zeit
verleben. Doch dann … Ich mag jetzt nicht daran denken.«
»Woran?
Was befürchtest du?«, erkundigte sie sich, überrascht und beunruhigt vom ernsten
Ton
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