Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
jemand abschätzig bemerkte: »Schon wieder ist einer im schönsten Anzug in den
Dreck gefallen.« Nein, heiraten, das fand sie ein wunderbares, Glück verheißendes
Fest – und von Scheidung sprach man zu jener Zeit nicht offen, das schien ein Makel,
der vor Kindern verheimlicht werden musste, das Thema blieb lange ein Tabu.
Träumte sie nun also von einer Hochzeit?
Nein, das hatte Zeit. Eher träumte sie von einem gemeinsamen, interessanten, nicht
bürgerlichen, abwechslungsreichen Leben mit Alex, von einer Seilschaft – was immer
das bedeuten mochte. Sie sah sich schon in Saudi-Arabien an seiner Seite ein Jahr
in der Wüste verbringen, spürte heiße Sonne und Sand auf ihrer Haut. Die Bewährungsprobe,
der sie ausgesetzt sein würde, wollte sie unbedingt bestehen. Durchhalten trotz
aller Schwierigkeiten, nur nicht aufgeben, sondern ihm beweisen, dass sie die richtige
Partnerin für ihn war, eine Frau, mit der man Pferde stehlen konnte.
Die Berge – oder die Wüste. Beides
Extreme, die Eva schon immer fasziniert hatten. Das mochte mit ihren Vorfahren aus
dem Berner Oberland zusammenhängen, mit der Liebe zu den Bergen, die ihr früh eingeimpft
wurde, obwohl ihr Vater seines Asthmas wegen kein großer Bergsteiger, eher ein ausdauernder
Wanderer war, der mit den Kindern die Vorberge, den Hohgant, den Burst und das Stockhorn,
bestieg. In Wanderschuhen und mit Proviant – Brot, »Landjägern« und einer Thermosflasche
Tee – im Rucksack.
Bevor ihre
Geschwister auf die Welt kamen, fuhren die Eltern mit der zweijährigen Eva in die
Ferien nach Adelboden. 1945, ein äußerst kalter Winter. Überall in der Schweiz,
auch in den Kurorten im Berner Oberland, waren damals Alliierte interniert. In Adelboden
wurden bis gegen Kriegsende um die 600 amerikanische Flieger, GIs, die mit ihren
Bombern bei einem Einsatz über dem feindlichen Land angeschossen worden und in der
Schweiz notgelandet waren, in den leerstehenden Hotels einquartiert. Die Kleine
wurde mit warmen Decken in einen Schlitten gepackt und im Schnee spazieren gefahren.
Vater, in Skihosen und mit Gletscherbrille, sah auf den vergilbten Aufnahmen im
Fotoalbum wie ein einheimischer Skilehrer aus. Man erzählte ihr später, sie habe
besonders gerne Bergkäse gegessen, und nachts sei sie einmal wach geworden und habe
ununterbrochen eine Melodie gesungen, die sie von den amerikanischen Kriegsgefangenen,
die ganz neue Musik ins ruhige Dorf brachten, aufgeschnappt hatte; aber wenn die
fremden Männer dem kleinen Mädchen Bonbons zustecken wollten, habe es den Kopf weggedreht.
Später verbrachte
Eva mit den Eltern und Geschwistern im Sommer und Winter einige Male Ferien im Gletscherdorf
Grindelwald bei zwei Kusinen des Vaters. Tante Margrit vermietete während der Saison
immer ihre Wohnung und zog dann mit den Kindern in den unteren Stock um, das war
üblich in den Kurorten im Berner Oberland. Fritz Steuri, ihr Mann, verdiente den
Lebensunterhalt für die Familie im Sommer als Bergführer, im Winter als Skilehrer.
Eva war
stolz, einen solch außergewöhnlichen Onkel zu haben. Er führte seine Kundschaft
– meist gut betuchte Leute, viele Stammgäste aus England, Frankreich, aus Italien
oder Deutschland – auf Hochtouren. Dabei ergaben sich oft lebenslange Freundschaften.
Aus dem von Wind und Sonne das ganze Jahr wie Leder gegerbten Gesicht des Onkels
stachen die Augen blau wie zwei Enziane hervor, sein Gang war federnd, und er sprach
mit dem unnachahmlichen, leicht singenden Tonfall der Grindelwaldner Mundart. Stundenlang
hätte sie ihm zuhören mögen, wenn er gut gelaunt von Erlebnissen in den Bergen und
strapaziösen Besteigungen erzählte, und sie spürte: Auf ihn war in jeder Situation
Verlass, man konnte sich ihm anvertrauen; nie wäre er auf einer Bergtour ein Risiko
eingegangen.
Onkel Fritz
beschrieb einmal die Route von der Glecksteinhütte aus auf das Wetterhorn und schilderte
begeistert, wie 1845 Christian Michel und Peter Bohren, zwei Einheimische, den Gipfel
über den Wettersattel zum ersten Mal bestiegen. Er musste die Bewunderung der kleinen
Nichte gespürt haben, denn er versprach, sie später einmal auf das Wetterhorn mitzunehmen,
das ihr weit besser gefiel als die gefährliche, überhängende Eigernordwand, die
bedrohlich und abweisend wirkte und vor der sie sich insgeheim fürchtete.
»Noch einige
Jahre, dann bist du alt genug für eine Hochtour über einen Gletscher mit Übernachtung
in einer SAC-Hütte.«
Das Versprechen
konnte er
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