Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
wünschte, dass sein jüngster
Sohn Medizin studiere. Alex weigerte sich. Er wollte von klein auf Geologie studieren,
nichts anderes, das stand für ihn fest. Als der als Chirurg sehr gut verdienende
Papa drohte, er werde den Sohn während des Studiums nur unterstützen, wenn er sich
in der medizinischen Fakultät einschreibe, zumindest versuchsweise für einige Semester,
brach Alex den Kontakt zu seinem Vater ab und flüchtete in die USA, um dort Geologie
zu studieren. Er durchlebte eine harte Zeit, musste sich das Studium mühsam als
Skilehrer in Colorado verdienen und rechnen, jeden Cent umdrehen. Manchmal schickte
ihm die Mutter, die hinter dem Rücken des Vaters zu ihm hielt, heimlich einen Scheck.
Eva konnte
deshalb Alex’ »vorsichtigen« Umgang mit Geld nachvollziehen und brachte von nun
an mehr Verständnis auf für seinen Geiz. Verschiedener konnten sie als Paar jedoch
kaum sein: Der Sparsame und die Großzügige. Würde das gut gehen? Und würde sie einen
geizigen Partner auf die Dauer ertragen? Womöglich müsste sie später einmal als
Alex’ Angetraute ein peinlich genaues Haushaltsbuch führen, überlegte sie, und über
den kleinsten ausgegebenen Betrag Rechenschaft ablegen. Doch verliebt, wie sie war,
und voller Vorfreude auf die gemeinsamen Ferien und aufs Klettern verdrängte sie
die Gedanken an solch banale, lästige Dinge.
2
In der ersten Zeit ihres Schreibaufenthalts
in Krems ging Eva die Geschichte jenes Sommers in Südtirol ständig durch den Kopf.
Die Erinnerungen an die Zeit mit Alex bedrängten sie auf einmal wieder, obwohl sie
gedacht hatte, das sei alles längst vorbei und vergessen.
Eines Tages
wanderte sie von Stein aus auf den Pfaffenberg, zwei Stunden durch einen einsamen
Wald, steil hinauf. Eine geradezu unheimliche Stille herrschte im düsteren, kühlen,
vom morgendlichen Regen feuchten Wald. Vermutlich war seit langem kein Mensch mehr
den überwachsenen, oben immer schmaler werdenden Weg gegangen.
Man fuhr
hier lieber Velo auf dem Donauradweg. Ganze Heerscharen mehr oder weniger sportlicher
Touristen radelten herum, verschwitzt, wie gehetzt und unheimlich ehrgeizig; manche
mit einem Kilometerzähler und einer Landkarte vor sich auf einem Gestell, das wie
ein Musikständer aussah. Sie nicht, nein, sie entschloss sich, zu den Außenseitern
zu gehören und zu Fuß zu gehen.
Allerdings
wurde der »Rundweg« auf den Pfaffenberg dann doch fast eine Kletter- oder Bergtour,
und nur mit höchster Aufmerksamkeit fand sie den Weg zurück, folgte den grün-weißen,
ab und zu auf die Rinde der Baumstämme gemalten Zeichen zur Orientierung, und erreichte
Stein, kurz bevor ein heftiges Gewitter mit starkem Regen und Hagel einsetzte.
Immer noch
die Abenteuerlustige, die Draufgängerin, dachte sie, erstaunt über ihren Mut oder
eher die Tollkühnheit, allein eine solche Tour in ein ihr unbekanntes Gebiet zu
unternehmen! Sie hätte sich leicht verlaufen, sich verirren, einen Misstritt machen,
den Knöchel verstauchen, auf dem gefährlich schmalen, steilen Waldweg zurück nach
Stein sogar abstürzen können! Man hätte sie vermutlich erst nach Tagen vermisst
und nach ihr gesucht.
Das war
ihr die ganze Zeit bewusst, und sie gab sich Mühe, auf jeden Schritt zu achten,
langsam, vorsichtig hinunter zu steigen. Wie beim Klettern. Und sie motivierte sich
laut: Gelernt ist gelernt, du kannst das. Den geringsten Anflug von Angst und Unsicherheit,
den Weg nicht zu finden oder in die Tiefe zu stürzen, verscheuchte sie.
Einmal stand
sie ganz oben und sah von einer Waldlichtung auf die sanfte, weite Donaulandschaft
der Wachau hinunter, Richtung Melk. Eine Art Gipfelbesteigung ist das, dachte sie.
Und dasselbe Glücksgefühl wie in den Dolomiten erfüllte sie, als sie später wieder
in besiedeltes Gebiet zurückkehrte und unten plötzlich eine richtige Straße vor
ihr lag und kurze Zeit später Häuser und Menschen auftauchten. Ein Vater spielte
mitten auf der Straße mit seinem Töchterchen Federball. Sie grüßte, und er mahnte
die Kleine, einen Moment zu warten, bis die fremde Wanderin vorbeigegangen war.
Sie dachte,
hungrig geworden, an die pasta asciutta , die es jeweils in Südtirol
in den Berghütten gegeben hatte: ein Teller heiße italienische Teigwaren, al
dente , mit viel Parmesan als willkommene Belohnung nach den Mühen des Aufstiegs.
An die Euphorie am Abend nach einer Klettertour, wenn die Schwierigkeiten überstanden
waren. Muskelkater, schmerzende Glieder, Blasen an den Füßen
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