Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
seiner Stimme.
»Ich werde
nach Saudi-Arabien zurückkehren müssen. Allein. Mein Vertrag läuft erst in einem
Jahr ab. Ende Sommer ist alles aus.«
»Alles aus?
Nein, ich werde dich begleiten«, meinte sie beschwörend.
»Das geht
nicht. Eine Frau kann dort nicht leben. Ausgeschlossen. Schon allein das mörderische
Klima … Und Wasser gibt es immer zu wenig, das wäre unzumutbar für eine Frau. Außerdem
bin ich meist unterwegs, mit dem Zelt, und verbringe nur die Wochenenden im Basislager.
Und ich will nicht, dass du auf mich warten musst.«
»Wir werden
eine Lösung finden. Mir macht es nichts aus, ohne Komfort und ohne viel Wasser zu
leben. Ich bin gesund, ertrage Strapazen. Hauptsache, wir bleiben zusammen.«
»Nein, es
geht nicht.«
Er presste
die Lippen zusammen und zog sich in ein Schweigen zurück, das schwer zu ertragen
war. Einen Moment wurde ihr fast schwarz vor Augen. Was hatte Alex ihr gerade mehr
oder weniger diplomatisch zu erklären versucht? Wollte er sie nach dem Sommer loswerden?
Was konnte sie tun, um ihn nicht zu verlieren und ihm ihre Liebe zu beweisen? Sie
war bereit, alles mit ihm zu teilen, nicht nur schöne Ferientage, sondern auch schwierige
Zeiten.
Vorerst besuchten sie in München
einen Freund von Alex, Otto, einen ehemaligen Bergkameraden, der inzwischen geheiratet
hatte. Stolz stellte er ihnen seine junge Frau, eine hellblonde Dänin, vor, die
ihr einjähriges Kind auf dem Arm hielt und sich bald mit dem Kleinen zurückzog.
Die beiden Freunde unterhielten sich pausenlos über Klettertouren in den Dolomiten,
schwärmten von waghalsigen Abenteuern, und Eva, die daneben saß und ihnen zuhörte,
erfuhr, Otto habe seine Kerstin vor drei Jahren in Südtirol kennengelernt.
»Kommt ihr
dieses Jahr auch nach Völs?«, erkundigte sich Alex.
»Nein, meine
Frau fährt lieber ans Meer, wir haben ein Ferienhäuschen in Dänemark gekauft.«
»Otto, du
hast das Klettern aufgegeben? Wie kannst du nur!« Alex schien fassungslos und enttäuscht.
»Man wird
älter und vorsichtiger«, erklärte Otto ruhig. »Zudem will ich Kerstin mit dem Kleinen
nicht immer allein lassen. Mir gefällt es auch am Meer. Die alten, verrückten Zeiten
sind vorbei, Alex. Das verstehst du wilder Geselle noch nicht. Vielleicht bald einmal?«
Er zwinkerte Eva zu.
Alex am
Meer? Sie konnte es sich nicht vorstellen. Seine Liebe – seine einzig wahre? – gehörte
den Bergen, und sie nahm sich vor, diese Leidenschaft oder gar Sucht mit ihm zu
teilen. Nur wenn sie Teil davon wurde, erhielt ihre Beziehung eine Chance.
Jahrzehnte später las sie in einem
Interview mit einem Chefarzt, dessen Hobby das Klettern und Bergsteigen war, es
sei wie in der Liebe. Auch die suche man immer wieder gegen jede Vernunft. Beim
Klettern erreiche man einen Ausnahmezustand, der so intensiv sei, dass einem etwas
fehle, wenn man lange keinen solchen Kick mehr erlebte. Das Gefühl, auf ganz hohem
Anforderungsniveau alles selber zu kontrollieren und die Aufgabe zu bewältigen,
sei wunderbar. Das »Flash« setze jeweils kurz vor dem Gipfel ein, ein unglaublich
intensives Glücksgefühl im ganzen Körper, er kenne keinen anderen ähnlich intensiven
Zustand.
Sie musste und wollte Alex in den
nächsten Monaten beweisen, dass sie nicht verwöhnt oder heikel war. Dass sie es
klaglos auf sich nahm, ohne Komfort zu leben und sich im Völser Weiher zu waschen.
Das kleine Holzhaus, von dem ihr Alex vorgeschwärmt hatte und in dem er mit ihr
wohnen wollte, konnte romantischer nicht sein, fand sie. Ideal für den Rückzug eines
verliebten Paares, das sich selber genügte.
Die Realität
war dann allerdings hart: WC hinter den Büschen im Wäldchen, ab und zu ein rasches
Bad im eiskalten Bergsee. Eva fühlte sich oft unwohl und schmutzig im alten, verschwitzten,
zerknitterten Flanellhemd von Alex und alles andere als attraktiv in den ewig gleichen
ausgebeulten Kletterhosen. Ihr blondes Haar wurde von der Sonne allmählich filzig
und strähnig. Sie beneidete die Italienerinnen, die sich jeden Tag sorgfältig schminkten,
modische Kleider und Schuhe mit hohen Absätzen trugen und ihrem Freund, den sie
aus früheren Zeiten kannten, schöne Augen machten, was ihm sichtlich schmeichelte.
Er war bis vor wenigen Jahren – oder jetzt noch? – in der Gegend als Schürzenjäger
berüchtigt gewesen. Sein Ruf als einst verwegener Liebhaber ließ sich nicht verleugnen,
selbst wenn er nun eine neue Freundin aus der Schweiz mitbrachte und sogar vom
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