Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Südwesten Saudi-Arabiens in der unzugänglichen
Sandwüste mit bis zu 300 Meter hohen Dünen sei er von einer Expedition nicht zurückgekehrt.
Diese größte Sandwüste der Erde, Rub al-Khali, das »Leere Viertel« genannt, umfasse
780 000 Quadratkilometer, erklärte sie. Der Engländer Bertram Thomas habe
dieses riesige, gefährliche Gebiet 1930/31 zum ersten Mal durchquert. Die Wüste
liege in einem geologischen Becken, Wasser gebe es dort nicht und auch keine Vegetation,
das habe Alex als Hydrologe besonders fasziniert. (Den ganzen Sommer über hatte
er es mit dem Vorwand, er brauche dringend Distanz abgelehnt, etwas Konkretes über
sein Leben und seine Arbeit in Saudi-Arabien zu erzählen. Sie hatte nun selber über
das ihr fremde Land recherchieren müssen.) Seither
werde er vermisst, den letzten Brief von ihm habe sie vor vielen Wochen erhalten,
erklärte sie mit erstickter Stimme und Tränen in den Augen.
Bohrenden,
kritischen Fragen wich sie geschickt aus und gab vor, es sei alles noch zu nah,
zu schmerzhaft, sie wolle nicht weiter darüber sprechen, es sei schwierig genug,
über diesen Schicksalsschlag hinwegkommen. Sie hoffe, irgendwann werde sie Gewissheit
haben, was passiert sei, allerdings sei es für sie praktisch unmöglich, Genaueres
von den Behörden zu erfahren, da sie nicht Alex’ Frau, sondern nur die Verlobte
sei.
Ihre Erklärungen wirkten überzeugend, glaubwürdig, sie hatte sich gründlich
über Rub al-Khali informiert. Man schwieg betroffen und versuchte, sie zu trösten.
Geradeso gut hätte sie allerdings auch das Gerücht in die Welt setzen können, Alex
sei bei der Besteigung des Dreitausenders Dschabal Sauda, des höchsten Berges im
Asir-Gebirge, tödlich abgestürzt.
Nichts jedoch
ist so unheimlich wie die Lücke, die jemand hinterlässt, der verschwindet. Sie erkundigte
sich sogar nach den rechtlichen Voraussetzungen einer Verschollenenerklärung und
las im Zivilgesetzbuch nach, es gebe zwei Fälle, die dazu führen können: die lange
nachrichtenlose Abwesenheit und das Verschwinden in hoher Todesgefahr. »Im ersten
Fall kann das Begehren frühestens fünf Jahre seit der letzten Nachricht, im zweiten
ein Jahr seit dem Zeitpunkt des wahrscheinlichen Todeseintritts gestellt werden .« Zum Antrag
berechtigt sei, wer aus dem Tod der vermissten Person Rechte ableite. Nein, Rechte
auf Alex konnte (und wollte) sie aus seinem Verschwinden keine geltend machen!
Merkwürdig,
mit der Zeit glaubte Eva selber fast an ihre frei erfundene Geschichte, an ihr trauriges
Märchen vom Prinzen, der vermutlich in den Sanddünen ums Leben gekommen sein musste,
jedenfalls unauffindbar blieb. Hörte man nicht immer wieder unbegreifliche Geschichten
von Menschen, die spurlos verschwanden, wie die klassische Variante des Mannes,
der am Kiosk an der Ecke Zigaretten kaufen geht und nie mehr zurückkommt?
Alex’ Mutter schrieb sie nie, sie kannte deren Adresse in Rom ohnehin
nicht. Sie hätte der herzkranken Frau vermutlich nur wehgetan, es war besser, sie
zu schonen.
Jahre später fragte sie sich manchmal,
wie wohl sein weiteres Leben verlaufen war? Hatte er später die ideale Frau gefunden,
der er treu bleiben konnte? Gründete er eines Tages tatsächlich eine Familie, zeugte
Kinder, kaufte ein Haus? War er sesshaft geworden oder zigeunerte er weiter herum?
12
Marianne war zuerst sprachlos, nachdem
Eva ihr das Ende der Liebesgeschichte erzählt hatte, im Auto, auf der Fahrt von
Südtirol, wo sie einige Tage Urlaub verbracht hatten, zurück in die Schweiz.
»Du tust mir leid – umso mehr als ich nun gesehen habe, wie schön es
oben am Völser Weiher ist. Das muss ganz schlimm für dich gewesen sein.«
»Ja, natürlich, es bleiben Narben zurück, die nie ganz verheilen. Ich
habe Alex wirklich geliebt und auf eine gemeinsame Zukunft gehofft. Doch heute …
Seit langem bin ich froh, dass alles so gekommen ist. Ich kann über die Geschichte
sogar herzhaft lachen, ohne Bitterkeit, es braucht immer zwei für eine Beziehung.
Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ausgerechnet diese, wie ich glaubte, innige
Liebesgeschichte zu einer von mir inszenierten trostlosen Vermisstengeschichte taugen
würde, zu mehr nicht! Wie gutgläubig, ja naiv ich war, blind vor Verliebtheit. Ich
glaubte, es sei normal, auf einen Mann derart Rücksicht zu nehmen. Und wenn ich
mir vorstelle, wie gefahrvoll gewisse Klettertouren für mich Anfängerin waren, wie
oft ich hätte abstürzen können! Ich hatte einen
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