Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Fuß mächtiger Berge, umgeben von Felswänden, Kälte und Dunkelheit und versank
jeden Abend, wenn sie in ihr spärlich möbliertes Studio zurückkehrte, in eine Stimmung
leiser Melancholie. Sie mochte sich immer weniger zu etwas aufraffen. Nach der Arbeit
noch den Weg ins Dorf unter die Füße nehmen, um irgendwo einzukehren oder essen
zu gehen? Dann würde sie allein in einer mehr oder weniger gemütlichen, halbleeren
Gaststube sitzen, neugierigen Blicken ausgesetzt, das Menü bestellen, ohne Appetit,
mit Volksmusik, die sie nicht mochte, als Begleitung. Wenn sie Glück hatte, konnte
sie mit der Serviererin oder einem Kellner einige Sätze wechseln, das war alles.
Ausgehen? Wohin? Mit wem? Sie blieb abends immer öfter in ihrem Studio, las, um
sich abzulenken, stopfte zu viele Süßigkeiten in sich hinein und ging früh schlafen,
weil sie ständig müde war. Eine eigenartige Antriebslosigkeit hatte sie erfasst,
aus der sie kaum mehr herauskam. Einfach schlafen wollte sie, die Zeit vergessen,
alles vergessen, und sie hätte auch nicht mehr sagen können, ob sie sich wirklich
nach Alex sehnte oder ob sie ihn nur vermisste, weil sie sich so einsam fühlte.
Eines Tages
merkte sie: Ich werde allmählich depressiv, fühle mich allein gelassen, die Arbeit
macht mir keine Freude und ist keine Herausforderung, die langen Tage im Büro in
Grindelwald Grund sind unerträglich. Ich halte das auf die Dauer nicht aus, sonst
werde ich krank oder drehe durch. Zum Glück war sie noch in der vertraglich vereinbarten
Probezeit. Sie verlangte noch am gleichen Tag dringend ein Gespräch mit dem Chef
und kündigte. Er bedauerte ihren Entschluss, brachte jedoch Verständnis dafür auf.
Hals über
Kopf verließ sie Ende der Woche Grindelwald, schaute nicht mehr zu den Bergen zurück,
selbst das Wetterhorn, einst ihr Lieblingsberg, konnte ihr gestohlen bleiben. Sie
atmete auf, als die Schmalspurbahn nach Schwendi um eine Kurve ratterte und endlich
keiner der berühmten Gipfel mehr zu sehen war.
Kurze Zeit später trat sie eine
neue Stelle in einer kleinen Schweizer Stadt an und mietete eine Wohnung, die sie
mit Eifer einrichtete. So hatte sie zumindest vorübergehend eine neue Aufgabe: Ein
Zuhause schaffen für sich – und für Alex, der in wenigen Monaten nachzukommen hoffte.
Nach einigen Absagen erhielt Eva endlich ein Jobangebot für ihn als Geologe, doch
hieß es, er müsse unbedingt innerhalb von zwei Wochen persönlich für ein Vorstellungsgespräch
vorbeikommen.
Und tatsächlich,
er rief, kaum hatte er diesen positiven Bericht erhalten, aus Rom an, er nehme einige
Tage Urlaub und fahre mit dem Auto in die Schweiz, diese berufliche Chance wolle
er sich auf keinen Fall entgehen lassen.
Nun würde
doch noch alles gut werden! Eva putzte die Wohnung auf Hochglanz, füllte den Kühlschrank
und begann ungeduldig auf ihren Liebsten zu warten. Eines Nachts klingelte es –
und Alex stand vor ihr, erschöpft, fast grau im Gesicht, er war mit dem Auto von
Rom aus durchgefahren, ohne eine längere Pause zu machen, umarmte sie kurz, mochte
kaum mehr reden und sank ins Bett. Am nächsten Tag fand das Gespräch mit der Direktion
des Unternehmens statt, das Alex eine Stelle anbot.
Schlecht
gelaunt kehrte er von diesem Interview zurück. Irgendetwas hatte ihm offenbar nicht
gepasst, jedenfalls wollte er die Arbeit nicht annehmen – und alle bisherigen Bemühungen
von Eva, für ihn eine passende Stelle zu finden, waren vergeblich gewesen. Nein,
die Schweiz sei vermutlich nicht das Land, das ihm eine interessante berufliche
Aufgabe bieten könne, fand Alex.
Er kam ihr
gestresst und nervös vor, für Zweisamkeit blieb kaum Zeit, denn er musste am frühen
Abend bereits wieder nach Rom zurückfahren. Er habe dringende Termine, die er nicht
verpassen dürfe, erklärte er. Eva versuchte, ihre Enttäuschung nicht zu zeigen.
Umso mehr staunte sie, als ihr Freund kurz vor seiner Abreise überraschend einen
Weißgoldring mit einem Brillanten hervorzauberte und ihr diesen an den Ringfinger
steckte. Ein Verlobungsring! Sie fiel ihm stürmisch um den Hals, überrascht und
gerührt. Er hatte in den Ring eingravieren lassen: Immer mit Dir! Eine wunderbare
Liebeserklärung, festgehalten für immer und ewig.
»Ach, du
hast mir so sehr gefehlt!«, gab er sogar zu, und Evas Zweifel waren wie weggefegt.
Wie hatte
sie nur annehmen können, Alex habe sie beinahe vergessen oder er werde nicht mehr
zurückkommen, er denke kaum ernsthaft an eine feste
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