Tödliche Therapie
ich Sie zu
einer Tasse Kaffee einladen? Ich bin völlig erschlagen und muß mich ein bißchen
aufmöbeln, bevor ich mich auf den Nachhauseweg mache.“
Ich sah in das Wartezimmer. Mrs. Alvarado war noch
nicht wieder zurück. Ich vermutete, daß die Einladung überwiegend dem Wunsch
entsprang, der Anwältin der Familie etwaige Bedenken bezüglich Fahrlässigkeit
oder Behandlungsversäumnissen auszutreiben. Aber die Ereignisse hatten mich erschöpft,
und die Möglichkeit, mich ein paar Minuten mit jemand anderem als den Alvarados
zu unterhalten, war mir willkommen.
Das Krankenhausrestaurant war verglichen mit den
schmuddeligen Cafeterias der meisten städtischen Krankenhäuser eine angenehme
Überraschung. Als ich das Essen roch, wurde mir eindringlich klar, daß ich seit
dem Frühstück vor zwölf Stunden nichts mehr zu mir genommen hatte. Ich aß ein
halbes Brathuhn und Salat. Burgoyne begnügte sich mit einem Truthahnsandwich
und Kaffee.
Er fragte mich, was ich über Consuelos Krankheitsgeschichte
und die ihrer Familie wisse, und erkundigte sich vorsichtig nach meinem
Verhältnis zu den Alvarados.
„Ich kenne Dr. Herschel“, wechselte er abrupt das
Thema. „Zumindest weiß ich, wer sie ist. Ich habe am Northwestern-Krankenhaus
meine Assistentenzeit abgeleistet. Beth Israel ist einer der besten Orte für
eine Ausbildung in Geburtshilfe. Als ich vor vier Jahren meine Assistentenzeit
beendete, hätte ich dort eine Stelle in der Entbindungsstation haben können. Obwohl
Dr. Herschel nur noch halbtags dort arbeitet, ist sie doch so etwas wie eine
Legende.“
„Warum sind Sie nicht hingegangen?“
Er verzog das Gesicht. „Friendship eröffnete dieses
Krankenhaus 1980. Im Südosten der Staaten haben sie ungefähr zwanzig Kliniken,
diese hier war die erste im Mittleren Westen, und sie haben Himmel und Hölle in
Bewegung gesetzt, damit sie ein durchschlagender Erfolg wird. Sie haben mir
soviel geboten - nicht nur an Geld, sondern auch an Möglichkeiten -, daß ich
nicht ablehnen konnte.“
Wir plauderten noch ein bißchen, aber nach einer
Dreiviertelstunde hielt ich es für meine ungeliebte Pflicht, mich wieder um
Mrs. Alvarado zu kümmern. Burgoyne begleitete mich ein Stück Wegs zum
Wartezimmer und bog dann ab in Richtung Parkplatz.
Mrs. Alvarado saß reglos auf einem Stuhl. Meine
Fragen nach Consuelo beantwortete sie mit dunklen Bemerkungen über göttliche
Vorsehung und Gerechtigkeit. Ich bot ihr an, mit ihr ins Restaurant zu gehen,
aber sie lehnte ab. Sie saß da, sagte kein Wort und wartete teilnahmslos
darauf, daß ihr jemand Neuigkeiten über ihr Kind brachte. Ihre unerschütterliche
Ruhe zeugte von einer Hilflosigkeit, die mir auf die Nerven ging. Von sich aus
würde sie nicht zu den Schwestern gehen und sich nach Consuelo erkundigen; sie
würde solange sitzen bleiben, bis man ihr eine Einladung schickte. Sie wollte
nicht reden, wollte einfach nur dasitzen, eingehüllt in ihr Unglück wie in
einen Pullover, den sie über ihre Cafeteria-Uniform gezogen hatte.
Zu meiner großen Erleichterung kamen um halb neun
Carol und zwei ihrer Brüder. Paul, ein großer junger Mann von zweiundzwanzig
Jahren, hatte ein grobschlächtiges, häßliches Gesicht, das ihn wie einen
besonders brutalen Rowdy aussehen ließ. Als er noch auf die High-School ging,
mußte ich ihn immer wieder aus dem Gefängnis herausholen, weil er als verdächtig
aufgegriffen worden war. Nur wenn er lächelte, kam seine Intelligenz und
Sanftheit zum Ausdruck. Der drei Jahre jüngere Diego war mehr wie Consuelo -
klein und zierlich. Carol setzte sich sofort neben ihre Mutter und begann leise
mit ihr zu sprechen, aber sehr schnell wurden beide laut.
„Was meinst du damit, daß du sie nicht mehr gesehen
hast, seit Malcolm weg ist? Selbstverständlich kannst du sie sehen. Du bist
ihre Mutter. Mein Gott, Mama, meinst du, du mußt warten, bis ein Arzt es dir
erlaubt?“ Sie schob Mrs. Alvarado aus dem Zimmer.
„Wie geht es ihr?“ fragte mich Diego.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.
Malcolm ist erst gefahren, als er dachte, ihr Zustand sei stabil. Er hat mit
Lotty gesprochen, sie kommt her, wenn es Consuelo schlechter gehen sollte.“
Paul legte einen Arm um meine Schulter. „Du bist
wirklich ein guter Freund, V. I. Fahr jetzt nach Hause und ruh dich aus. Wir
kümmern uns um Mama.“
In diesem Augenblick kam Carol zurück und bedankte
sich ebenfalls. „Ja, Vic, fahr nach Hause. Sie liegt auf der Intensivstation.
Alle zwei
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